Am 7. April 2023 jährte sich zum 90. Mal die Einleitung der in Gesetzesform gekleideten Zwangsmaßnahmen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, mit denen die Nationalsozialisten unliebsame Beschäftigte des öffentlichen Dienstes aus ihren Ämtern entfernten. Am 19. April fand am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Magdeburger Platz 1, hierzu ein Gedenken in Form einer Buchpräsentation statt.
Vorgestellt wurde die Neuauflage des Buches „Jüdische Richter in der Berliner Arbeitsgerichtbarkeit 1933“. Die Wiederzusammenführung der berlin-brandenburgischen Arbeitsgerichtsbarkeit war Anlass, auch die Schicksale der seinerzeitigen Brandenburger Arbeitsrichter jüdischer Herkunft in die Betrachtung aufzunehmen.
Der Präsident des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg, Dr.Martin Fenski, eröffnete die Veranstaltung unter anderem mit dem Hinweis, dass der Berliner Freundes- und Förderkreis Arbeitsrecht „Gestern – Heute – Morgen“ e.V. seinem im gewählten Namen liegenden Anspruch gerecht werden wolle, „das Gestern auch für das Heute und das Morgen lebendig zu erhalten”, was gerade in heutiger Zeit wieder große Bedeutung erlange, zumal die Möglichkeiten Zeitzeugen zu befragen geschwunden seien.
Reinhold Gerken, ehemaliger Gerichtspräsident des Arbeitsgerichts Berlin, der sich seit den 80er Jahren mit nie nachlassendem persönlichem Einsatz maßgeblich dafür eingesetzt hat, die jüdischen Richter des Arbeitsgerichts der Vergessenheit zu entreißen und ihr Schicksal der Öffentlichkeit bekannt zu machen, stellte in seinem Einführungsvortrag die Etappen des Erinnerungsprojektes dar. Bereits 1987 hatten Mitarbeitende des Arbeitsgerichts Berlin die Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht und die damals noch bestehenden Möglichkeiten genutzt, noch lebende Betroffene über ihre Erinnerungen zu befragen. Gerken schilderte, wie allein die Kontaktaufnahme mit den Betroffenen (meist die Witwen der ehemaligen Richter) zum Durchbrechen der Mauern des Schweigens und Vergessens führten. Dabei vermittelte er den Zuhörenden die emotionale Berührung, die gerade durch diese Einzelschicksale das historische Geschehen für die Nachwelt erlebbar und nachvollziehbar machen.
Vor rund hundert Kolleg*innen und Gästen stellte der ehemalige Gerichtspräsident dar, wie radikal die Nationalsozialisten gegen die „nichtarischen“ Juristen vorgingen. In Berlin wurden alle betroffenen Richter – 1933 am Arbeitsgericht jeder Vierte, am Landesarbeitsgericht sogar jeder Dritte dort tätige Jurist – aus ihren Ämtern gedrängt, obwohl einige von ihnen als „Altbeamte“ und/oder „Frontkämpfer“ selbst nach den Bestimmungen des NS-Gesetzes hätten im Dienst verbleiben können. Dass seinerzeit seitens der Kollegenschaft jegliche Hilfe und Unterstützung, ja jede empathische Nachfrage ausgeblieben war, erschien ihm besonders erschütternd.
Gerken erläuterte Anlass und Notwendigkeit, nach zehn Jahren das Werk zu überarbeiten und fortzuschreiben und dankte sowohl dem Autor und Historiker Hans Bergemann als auch dem Verlag Hentrich&Hentrich hierfür. Er wies auf die Gemeinsamkeiten aber auch auf die Unterschiede zwischen den Vorgängen in Berlin und denen in Brandenburg hin. So gab es in Brandenburg in der ersten Zeit für einzelne Richter noch einen Aufschub der Entlassung, oft auf der Basis der Eigenschaft als „Frontkämpfer“ im Ersten Weltkrieg oder der personell-strukturellen Verknüpfung von Amts- und Arbeitsgerichtsbarkeit. Jedoch waren diese Aufschübe nicht von längerer Dauer.
Mit der Erweiterung im neuen Buch soll nun auch den Juristen aus Brandenburg ein Gedenken gesetzt werden.
In fünf einzelnen Beiträgen trugen junge Richter*innen des Berliner Arbeitsgerichtes und des Landesarbeitsgerichtes sowie ein Rechtsanwalt (Mitglied des Berliner Freundes- und Förderkreises Arbeitsrecht) die sehr unterschiedlichen Schicksale der betroffenen brandenburgischen Arbeitsrichter vor. Für den würdigen musikalischen Rahmen sorgte das Streichquartett des Arbeitsgerichts.
Die mit viel Emotion vorgetragenen Beschreibungen der einzelnen Biografien machten deutlich, wie sehr sich die Betroffenen „als gute Deutsche“ fühlten, wie unterschiedlich sie in ihrer politischen Einstellung waren, wie groß oft ihre Hoffnung war und wie lange diese anhielt, dass der “Spuk” vorübergehen werde.
Und doch wurde erkennbar, wie rasch sich die nationalsozialistische Gewaltherrschaft festigte und ihre Unmenschlichkeit tief in die Gesellschaft eindringen konnte.