Gentrifizierung oder Milieuschutz?

Sanierung, Modernisierung und Neubau – im Stadtteil Tiergarten Süd tut sich viel und soll viel getan werden. Neben der Errichtung – meist hochpreisiger – Wohnimmobilien wird saniert, renoviert, umgebaut und ausgebaut. Nicht immer im Sinne der Mieter. Aber immer im Sinne der Wertsteigerung der Wohnungen. Und das bedeutet Mietsteigerung. Und Verdrängung. Das Stadtteil-Forum Tiergarten Süd sieht die Entwicklung im Kiez kritisch. Bereits seine Vorgänger-Institution – der Quartiersrat des Quartiersmanagement-Bereiches Magdeburger Platz / Tiergarten Süd hatte sich mit dem Problem auseinandergesetzt und schon 2015 an BVV und Bezirksamt geschrieben mit der Bitte zu prüfen, ob das Gebiet nicht als Milieuschutz-Gebiet ausgewiesen werden könne.  Daraufhin fasste die Bezirksverordneten-Versammlung (BVV) am 18. Februar 2016 den Beschluss, ein regelmäßiges Monitoring vorzunehmen und die Ergebnisse jährlich dem Stadtentwicklungsausschuss mitzuteilen. Obwohl das Bezirksamt dem am 12. April 2016 auch zugestimmt hatte, lagen die zu erwartenden Ergebnisse im Frühjahr dieses Jahres noch nicht vor.

Die Sprecher*innen des Stadtteil-Forums Tiergarten Süd sagen dazu: „In den letzten zwei Jahren beobachten wir eine erhebliche Veränderung im Wohnungsmarkt in unserem Stadtteil, die gravierend zu Lasten der bisherigen Einwohnerstruktur geht. Die wesentlichen Gründe dafür sind Zweckentfremdung von Wohnraum, Neubau von Eigentumswohnungen im Hochpreissegment und aufwertende Modernisierung von Mietwohnungen.“ Sie baten den neuen Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit, Ephraim Gothe (SPD), um „Klärung, wie in der Sache der Milieuschutzbeobachtungsgebiete weiter vorgegangen werden soll.“ In der Sitzung des Stadtteil-Forums am 2.Mai wurden Herrn Gothe Beispiele wie die Baumaßnahmen „Kurfürstenhöfe“, Westpark 107 und Haus„Pro Seniore“ vorgestellt – besonders drastisch aber  die „Sanierung/Modernisierung Genthinerstraße 12-14/Lützowstraße 37-39“. Hier scheint ein ausländischer Investor über das Argument „notwendiger Asbestsanierungen“ die Mieter*innen zur Zustimmung zu aufwendigen Renovierungsmassnahmen zwingen zu wollen. Das bedeutet wiederum höhere Mieten oder Auszug. Und wo sollen die Mieter*innen dann in ihrem Kiez entsprechenden Wohnraum zu erschwinglichen Mieten finden? Einige der Mieter*innen sind schon weggezogen.

Auch hier bald nur noch Luxus-Appartments?
Foto:BSE

Den Mitgliedern des Stadtteil-Forums erscheint die Ausweisung des Kiezes als Milieuschutzgebiet dringlich. Dazu hatte die Fraktion Die Linke in der BVV bereits im Januar einen Antrag gestellt: „Das Bezirksamt wird ersucht, für die Beobachtungsgebiete, welche aus dem Grobscreening zum Milieuschutz hervorgegangen sind, vertiefende Untersuchungen durchzuführen.“ Dieser war aber nach einer unklaren Berichterstattung im Ausschuss zu diesem Thema zurückgezogen worden. Die Begründung aber erscheint nach wie vor gegeben: „Die beim Grobscreening als Beobachtungsgebiete deklarierten Gebiete in Mitte ergaben weniger auffällige Zahlen als die sogenannten Verdachtsgebiete. Das heißt nicht , dass der Milieuschutz nicht genauso nötig ist. Der Prozess der Verdrängung ist dort zum Teil schon weiter fortgeschritten. Außerdem wird der Druck auf die Gebiete durch die bereits umgesetzten Milieuschutzgebiete weiter erhöht. Ziel muss es sein, schnellstmöglich Schritte einzuleiten, um Verdrängung durch die Ausweisung neuer Milieuschutzgebiete einzudämmen.“

Nun will der Stadtbaurat prüfen, ob evtl. auch ohne Monitoring eine vertiefende Untersuchung erfolgen kann, wenn die dem Stadtplanungsamt vorliegenden Informationen erwarten lassen, dass sie die Voraussetzungen für den Erlass einer Milieuschutzverordnung bestätigen werden.

Für die Bewohner*innen der Genthinerstraße 12-14/Lützowstraße 37-39 wird das aber wohl leider zu spät kommen. Hier legte Ephraim Gothe dar, dass die Bezirksregierung leider keine rechtliche Grundlage für ein Einschreiten habe. Aber er will es auf die politische Agenda nehmen und bei den Eigentümer*innen Klärung verlangen sowie die vom Stadtteil-Forum Tiergarten Süd initiierte Rechtsberatung für die betroffenen Mieter*innen unterstützen.

Tiergarten Süd ist vom Schmuddelbezirk zum attraktiven Standort geworden. Das ist begrüßenswert, darf aber nicht zulasten der alteingesessenen Bewohner*innen gehen. Politik und Gesellschaft müssen gegen Spekulation und Profitgier Dämme aufbauen.

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