Doppelleben

Viel wird über die Frauen gesagt und geschrieben, die auf der Kurfürstenstraße ihrem Gewerbe nachgehen.

Wir glauben, dass die Berichte der Frauen darüber, wie sie selbst ihren Lebensalltag in und um die Kurfürstenstraße sehen und was sie bewegt, nicht vergessen werden sollten. Mit freundlicher Genehmigung des Frauentreff OLGA veröffentlichen wir seit März 2020 in unregelmäßiger Folge Auszüge aus der Projektbroschüre  PHOTOVOICE:

Heute geben wir DANIELA eine Stimme:

Es hat damit angefangen, dass ich sehr früh geheiratet habe, mit 17. Dann mit 18 das erste Kind, mit 19 das 2.

…wo ich als Kind mein Fahrrad habe reparieren lassen (Copyright:OLGA)

Ich konnte gar nicht mit Geld umgehen und mein Mann hat angefangen zu spielen. Das verdiente Geld hat er verzockt. Wir hatten dann sehr viele Schulden und 2 kleine Kinder. In einer Pizzeria gegenüber habe ich gearbeitet. Nebenan gab es einen Puff und die Damen kamen ab und zu rüber, haben was gegessen. In den Gesprächen habe ich mitbekommen, wieviel Geld man mit Prostitution verdienen kann. Da hab ich zu meiner Chefin aus Quatsch gesagt: „Ich glaube, ich sollte auch Prostituierte werden.“ Da hat sie gesagt: “Ich mache das auch, komm doch einfach mal mit.“ Als wir dann aus dem Taxi ausgestiegen sind, ist mir fast die Luft weggeblieben, denn in der Straße hatte ich bis zum 10. Lebensjahr meine Kindheit verbracht.

Dann standen wir vor dem Laden, in dem ich mich zukünftig prosituieren würde und ich stellte fest, dass das der Laden war, in dem ich als kleines Mädchen mein Fahrrad habe reparieren lassen. Meine ganze Kindheit lief noch mal wie ein Film vor meinen Augen ab. Und ich glaube, in diesem Moment ist etwas in mir passiert. Damit war der erste Stein für die Mauer gelegt, die ich um mich herum aufgebaut habe und mein Doppelleben fing an. Mein ganzer Familienkreis wusste nichts davon. Ich habe immer gesagt, dass ich kellnern und servieren gehe. Da war ich 19. Die Schulden waren dann bald beglichen, weil man damals in den 80ern manchmal 2000 Mark am Abend verdienen konnte. Als ich dann 1,5 Jahre später, es war der 15. Mai, nach Hause kam, war die Wohnung leer. Meine Kinder, mein Mann, alle Möbel, einfach weg. Die Wohnung besenrein. Für mich ist natürlich die Welt zusammengebrochen, aber da ich immer Probleme hat- te mich Menschen anzuvertrauen, habe ich mir in dem Moment leider keine Hilfe geholt.

Und der zweite Teil meines Doppellebens begann. Ich hatte dann eine Beziehung zu einem Mann, der wusste, dass ich als Prostituierte arbeite. Meine Kollegin- nen haben Speed genommen, um mehr arbeiten und trinken zu können. Ich wollte es mal ausprobieren und mochte es sehr, bis mein Freund das dann mitgekriegt hat, da hab ich dann mal wieder Schläge kassiert. Die Finger konnte ich trotzdem nicht vom Speed lassen, obwohl ich Angst hatte. Meine Freundin hat mir dann Heroin gegeben gegen die großen Pupillen. Da kam dann wieder meine Verdrängung, denn ich wusste ja eigentlich, was Heroin alles anrichtet, aber ich hab es trotzdem gemacht. Kurze Zeit später war ich abhängig, musste meine Sucht verbergen und wieder ein Doppelleben führen. Auch später, als ich nur noch mit normalen, bürgerlichen Menschen zu tun hatte. Die haben mir gut getan, aber ich konnte die Prostitution nicht aufge- ben, weil ich ja drogenabhängig war. Ich hab dann wieder erzählt, dass ich putze. Meine Klamotten musste ich verstecken. Ich bin in Turnschuhen zur Arbeit gegangen und hab mich da umgezogen. Die Sucht war auf jeden Fall ein Vollzeitjob. Das hat mich sehr vereinsamt, ich hab mir ein Lügengerüst aufgebaut, aus dem ich dann auch nicht mehr rauskam. Denn wer lügt, braucht ein gutes Gedächtnis und das hab ich leider nicht. Ich habe verlernt, mich normal zu beschäftigen, mit meinem sozialen Umfeld, mit Problemen und mir. Die Maske bedeutet für mich Doppelleben. Die Wahrheit zu verstecken, sich abkapseln. Mein Doppelleben habe ich fast 30 Jahre geführt. Das macht einen richtig kaputt. Es gab keinen, der etwas gewusst hat. Weder von der Sucht, noch von der Prostitution. Während mein Freund im Wohnzimmer auf der Couch saß, war ich im Bad und hab das Heroin gezogen. Im Nachhinein denke ich manchmal, dass meine Freunde es doch wussten, aber nicht wissen wollten. Zu meinen Eltern und meinen Kindern hatte ich auch schon seit Jahren keinen Kontakt mehr.

 

Die Maske bedeutet Doppelleben (Copyright:OLGA)

Ich hatte immer Angst vor dem Knast, bis ich dann 2011 tatsächlich für ein paar Monate wegen Schwarzfahren im Gefängnis saß. In dieser Zeit habe ich es geschafft, clean zu werden und habe mich sehr wohl gefühlt. Denn in der JVA brauchte ich nicht zu lügen und nichts zu verstecken. Als ich dann aber wieder rauskam, habe ich gemerkt, dass der gleiche Alltagstrott wieder von vorne losgeht. Ich bin rückfällig geworden und musste wieder anschaffen gehen und war erneut im Teufelskreis gefangen. Und dann habe ich irgendwann verstanden, dass ich mich 30 Jahre lang mit meiner Sucht selbst in ein Gefängnis gesperrt habe.

Die Sucht – mein eigenes Gefängnis (Copyright: OLGA)

Bis ich mein Leben wirklich ändern konnte, brauchte ich einige Anläufe. Ich habe mir dann professionelle Hilfe gesucht, weil ich wusste, dass ich es alleine nicht schaffe. Ich bin ins Olga gegangen habe gesagt:

„Ich brauche Hilfe, ich kann nicht mehr.“

Heute bin ich nach fast 30 Jahren Sucht substituiert und habe eine Psycho-soziale Betreuung. Ich habe mein Doppelleben beendet, bin umgezogen, habe mich von meinem Freund getrennt. Die Gefängnismauern um mich herum habe ich mit Hilfe und Geduld langsam eingerissen. Jetzt habe ich mehr Zeit für mich und schöne Dinge. Ich habe sogar wieder Kontakt zu einem meiner Söhne. Ich fühle mich befreit, bin nicht mehr eingesperrt und muss mich und andere nicht mehr belügen. Ich wünsche den Menschen, die wie ich in schwierige Lebenssituationen kommen, keine Angst zu haben, sondern sich rechtzeitig Hilfe zu suchen und dass sie es schaffen, aus ihrem Gefängnis auszubrechen.

 

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