Vor neun Jahren

Wie die Werkstätten der BVG am Gleisdreieck weggentrifiziert wurden

(EIN BEITRAG VON MATHIAS BAUER, GLEISDREIECKBLOG)

 Manchmal werden Weichen gestellt und erst Jahre später erfährt die Öffentlichkeit, dass die Entwicklung auch in eine andere Richtung hätte gehen können. Eine solche Erkenntnis bringen nun zwei Anfragen zur BVG am Gleisdreieck von Niklas Schenker im Abgeordnetenhaus.

Die Antworten auf die Anfragen bestätigen, was in den letzten Monaten schon als Gerücht zu hören war. Vor dem Verkauf des Grundstücks der „Urbanen Mitte“, das den U-Bhf. Gleisdreieck mit beinhaltet, für knapp 7,8 Mio. € an eine zur COPRO-Gruppe gehörende GmbH im Januar 2014 gab es Verhandlungen zwischen der BVG und der Ca Immo/Vivico um den Erwerb der Fläche. Wörtlich heißt es in der Antwort der Senatskanzlei auf die Anfrage vom Mai diesen Jahres:

. . . Die BVG teilt mit, dass die BVG damals mehrfach Interesse am Erwerb der Flächen des Gleisdreiecks gegenüber den jeweiligen Grundstückseigentümern gezeigt hatte. Leider waren die Vivico und auch ihre Rechtsvorgänger nicht zum Verkauf an die BVG bereit. Erst im März 2012 wurde der BVG von Seiten der Vivico ein Angebot zum Kauf gemacht . . .

und weiter

. . . Trotz mehrfachem Bekunden, dass die BVG kaufinteressiert ist, verkaufte die Vivico ihre Flächen dann an den Investor, die Urbane Mitte Entwicklungs-GmbH & Co. KG. Die BVG konnte aufgrund der Kurzfristigkeit der Anfrage kein Einvernehmen mit dem damaligen Grundstückseigentümer Vivico bzw. ihrem Rechtsnachfolger über die Offenlegung der Kaufkonditionen herstellen . . .

Quelle: siehe Links zu den Anfragen am Ende des Artikels

Zwischen den Zeilen ist auch im zeitlichen Abstand von 9 Jahren noch immer die Enttäuschung auf Seiten der BVG herauszuhören. Denn während die BVG mit der Ca Immo/Vicico um den Erwerb des Grundstücks im Gespräch war, hatte sie schon ein Sanierungskonzept für die Viaduktbögen des Gleisdreiecks erarbeiten lassen und plante, die dort befindlichen Werkstätten zu modernisieren. Dass die Vivico trotz laufender Gespräche plötzlich an jemand anderen verkaufen und dieser dann die Mietverträge für die Werkstätten aufkündigen würde, kam für die BVG damals „kurzfristig“ und unerwartet.

Von Herbst 2014 bis Anfang 2015 veranstalteten die Investoren der Urbanen Mitte drei sogenannte Fach- und drei Bürgerdialoge. Auf den Fachdialogen waren Verwaltungen von Bezirk und Senat vertreten, dazu IHK, Technikmuseum, diverse Abgeordnete und eine Reihe eingeladener Professoren. Ich habe mich damals gefragt, warum die BVG als einer der Hauptbetroffenen an den Fachdialogen nicht teilgenommen hat. Vermutlich lag das daran, dass die Investoren vor den Fachdialogen, auf denen angeblich offen über die Zukunft des Geländes beraten werden sollte, schon strategische Entscheidungen getroffen hatten. Eine der strategischen Entscheidungen war der Abriss des Ringbahnviadukts, der schon kurz nach dem ersten Fachdialog begann. Von der zweiten strategischen Entscheidung, nämlich der Verdrängung der BVG-Werkstätten aus den angestammten Räumen, erfahren wir nun mit 9 Jahren Verspätung.

Die beiden U-Bahnlinien selbst sowie das Gleichrichterwerk und das Stellwerk, kurz – alles was für den Betrieb der U-Bahn planfestgestellt ist – kann die BVG natürlich weiter betreiben. Mit dem Austausch des Stahlviadukts der U1 zwischen Gleisdreieck und Dennewitzstraße muss sie sich jedoch beeilen. Denn nach dem Bau der 90 m hohen Türme, die bis auf 5 m an das Viadukt der U1 heranrücken sollen, wäre eine solche Arbeit kaum noch möglich. Die Werkstätten aber, die sich jahrzehntelang in den gemauerten Bögen des historischen Gleisdreiecks befanden, musste die BVG an weniger zentrale Standorte verlagern, nämlich in die Lise-Meitner Straße in Charlottenburg Nord und in die Puccinistraße in Weißensee. Für die Umzüge dorthin hat die BVG bisher rund 6 Mio. € ausgegeben, wodurch allerdings Miete eingespart wurde, heißt es – ein dezenter Hinweis auf die Mieterhöhungen durch den neuen Eigentümer am Gleisdreieck.

Warum die Ca Immo/VIVICO es damals vorgezogen hat, das Grundstück kurzfristig für knapp 7,8 Mio. € an den privaten Investor und nicht an die BVG/Land Berlin zu verkaufen, bleibt eine offene Frage, ebenso, warum der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht das Vorkaufsrecht nach §27 a (1) Baugesetzbuch zugunsten der BVG ausgeübt hat.

Heute werden im B-Part auf dem Grundstück der Urbanen Mitte Ideen geschmiedet für die 8000 m² Nutzfläche in den gemauerten Viaduktbögen des Gleisdreiecks. Unter der Überschrift„Urban Ideation Lab entwirft zirkuläre Stadtquartiere“ wird von den „Jahrzehnten des Rückzugs von Produktion und Gewerbe aus den Städten“ berichtet. Zu den Bögen am Gleisdreieck heißt es:

. . . Die Viadukte dienten in den vergangenen Jahrzehnten als Werkstätten der Berliner Verkehrsbetriebe BVG. Von Haltestellen bis Brückenträgern wurde hier alles gebaut und gewartet . . .

Quelle: https://bpart.berlin/de/2022/10/24/urban-ideation-lab-entwirft-zirkulaere-stadtquartiere/

Verschwiegen wird dabei, dass es im Falle der BVG sich nicht um einen freiwilligen Rückzug handelte, sondern dass es die Betreiber des B-Parts (und der Urbanen Mitte) selbst waren, die die BVG hier verdrängten und so für den Leerstand sorgten.

Der soll nun wieder gefüllt werden. Im „Urban Ideation Lab“ (UIL) werden die Bögen als Ort für zirkuläre Produktion gesehen, ein Zitat:

. . . . Das UIL präsentierte hier eine Vision für ein zirkuläres Stadtquartier und belegte die Flächen exemplarisch mit Unternehmen, die miteinander kooperieren könnten. Ein Beispiel: Aus Nebenprodukten wie Gerstenmalz könnte eine Brauereifläche mit einer Bäckerei, die dann ihr Brot damit bäckt, zusammenarbeiten. Die Abwärme der Brauerei könnte dazu genutzt werden, den Stromverbrauch eines Urban Farming Unternehmens, das beispielsweise Salate anpflanzt, zu decken. Dieser Salat könnte dann, genau wie das Brot, auch von den Restaurants vor Ort weiterverarbeitet werden . . .

Quelle: https://bpart.berlin/de/2022/10/24/urban-ideation-lab-entwirft-zirkulaere-stadtquartiere/

Schöne Ideen, erinnern ein bisschen an die Projekte der Hausbesetzerbewegung der 1980er Jahre, die Leben und Arbeiten ökologisch und nachhaltig verbinden wollten. Wer sich heute die ufa-Fabrik im Tempelhof oder das Kerngehäuse in der Cuvrystraße anschaut, kann genau diese Konzepte wiedererkennen.

Nur – braucht es dafür den Schatten der Hochhäuser?

Die beiden Anfragen von Niklas Schenker im Abgeordnetenhaus:

Zuerst veröffentlicht in gleisdreieckblog

Redaktion

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