Spaziergang in die Vergangenheit (18): Die Künstlerfamilie Begas (Teil 4)

Der jüngste der vier in die künstlerischen Fußstapfen des Vaters tretenden Söhne von Carl Begas (1794-1854) (Bild 1) – zwei weitere hatten entweder kein Talent oder keine Lust und gingen zum Militär – verließ das Elternhaus als Letzter: Carl Begas (der Jüngere) (1845-1916) tauchte erstmals 1863 im Adressbuch auf, als er Am Karlsbad 13 wohnte, so wie seine Mutter (der Vater war 1855 verstorben) und seine beiden Brüder Reinhold und Adalbert. Oskar, der älteste der vier, hatte das Haus Am Karlbad 10 übernommen (mittendran vom 16. September 2024). Carl studierte, wie seine Brüder, an der Akademie (1862 bis 1865), und lernte gleichzeitig die Bildhauerei im Atelier seines Bruders Reinhold (mittendran vom 13. Oktober 2024), dessen naturalistischem Stil er folgte. Er war an dessen Monumentalwerken wie dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal beteiligt, auch bewarb er sich mit eigenen Arbeiten an den jährlich stattfindenden Akademieausstellungen, aber er blieb Zeit seines Lebens künstlerisch im Schatten seines 16 Jahre älteren Bruders Reinhold, obwohl er nach heutiger Sicht der besonnenere und gründlichere Künstler war.

Bild 1: Carl Begas (aus: (6). Fotograf unbekannt).

Wie in der Begas-Familie üblich, verbrachte auch Carl einige Zeit in Italien (1869/70), und kehrte zurück nach Berlin an das Karlsbad. Er war erneut für 5 Jahre in Rom (1873 bis 1878) und erst 1880, als die Mutter verstorben war, zog auch er fort vom Karlsbad und lebte und arbeitete bis 1884 am Kurfürstendamm 100. Ein weiterer Italienaufenthalt folgte 1887. Im Jahr 1889 wurde er auf eine Professur für Bildhauerei an die Kunstakademie Kassel berufen und blieb dort bis 1898, zumindest laut Adressbuch (Bild 2). Bis 1908 war er (auch) in Berlin, Uhlandstraße wohnhaft, unklar ist, ob er dort auch sein Atelier hatte, aber er wohnte auch schon vorher in Köthen (s. unten).

Bild 2. Zeitungsnotiz von 1889 und Ausschnitte aus den Adressbüchern von Kassel für die Jahre 1890 und 1898.

Wir hatten schon bei Reinhold und Adalbert Begas festgestellt, dass Kunsthistoriker offenbar geringes Interesse an genealogischen Zusammenhängen zeigen und sich kaum für das Privatleben der Künstler interessieren – als müsse und könne man die Kunst davon trennen. Für Carl Begas gibt es in den einschlägigen Quellen (1-3) bis hin zu Wikipedia keinerlei Informationen, ob und mit wem er verheiratet war, ob er Kinder hatte, woran er und seine Familienangehörigen verstorben sind usw. Selbst dass Carl Begas einen Sohn Ottmar (1878-1938) hatte, der Maler wurde (siehe unten), scheint nicht die Neugierde zu wecken, mit wem er dieses Kind gezeugt hat und ob es zum Beispiel Geschwister gab, usw. Das ist um so erstaunlicher angesichts des Umstandes, dass Kunsthistoriker bei einem solch eindrucksvollen familiären Auftreten künstlerischer Begabung gern ins Schwärmen geraten über die Möglichkeit, dass diese vererbt worden sei (1,3,4) – davon ist auch das Begas-Haus (Kunstmuseum) in Heinsberg nicht frei, auch hier fehlen viele genealogische Bezüge, wenn vier Generationen Kunst gefeiert werden (5). Aber es gab die genealogischen Informationen bereits 1912 (6).

Komplizierte Familienverhältnisse

Carl Begas der Jüngere war zweimal verheiratet: Seine erste Ehefrau war die am 5. August 1843 in Kochstedt bei Dessau geborene Anna von Behr. Die Ehe wurde am 5. August 1877 in Köthen geschlossen, seine Adresse ist mit Rom angegeben. Das Ehepaar blieb bis 1878 in Rom, hier kam ihr Sohn Ottmar am 10. Mai 1878 zur Welt (siehe unten). Zwei Jahre später, am 15. Juli 1882, wurde eine Tochter Oda geboren. Sie blieb unverheiratet und starb am 17. Februar 1956 in Köthen. Ihre Mutter Anna starb am 20. April 1886 im Alter von nur 43 Jahren, eine Todesursache nennt der Kirchenbucheintrag nicht. Der Witwer mit einem acht Jahre alten Jungen und einem vier Jahre alten Mädchen heiratete am 24. Juli 1890 die 31-jährige Johanna Emilie (Emmy oder Emmi) Bramigk, in Köthen geboren am 28. Oktober 1859 und dort verstorben 26. Dezember 1945. Sie hatten keine weiteren Kinder.

Was wie ein fast „normales“ Leben aussieht, wird kompliziert durch den Umstand, dass die beiden Ehefrauen von Carl Begas Halbschwestern waren, die unterschiedliche Geburtsnamen, daher die gleiche Mutter, aber unterschiedliche Väter hatten. Der eine (Ottomar von Behr, 1815-1858 aus Kochstedt bei Dessau) heiratete 1841 Emilie Tenge (1822-1863) aus dem Fürstentum Lippe und hatte mit ihr drei Mädchen, von denen zwei mit dem Vater 1848 nach Amerika auswanderten; dort heiratete er erneut. Die jüngste dieser beiden Töchter, Anna von Behr, geboren 1843, wurde die erste Ehefrau von Carl Begas.

Der zweite Ehemann der Emilie Tenge war der Rechtsanwalt Ernst Bramigk (1823-1894) aus Köthen, der auch die Scheidung und die Trennungsvereinbarung der ersten Ehe „besorgt“ hatte; diese Heirat fand am 27. Februar 1849 in Thale (im Harz) statt. Er hatte mit Emilie, geborene Tenge, acht Kinder, darunter vier Mädchen; die Jüngste, Emmi Bramigk, geboren 1858, wurde 1890 die zweite Ehefrau von Carl Begas.

Die Rekonstruktion dieser Familiengeschichte hat viele Stunden Recherche gekostet und ist nur unter heutigen Bedingungen, in denen die meisten der Dokumente digital zugänglich sind, einigermaßen verlässlich machbar. Daran mussten alle Kunsthistoriker in der Vergangenheit scheitern, und das allein erklärt das Fehlen entsprechender Angaben in vielen Publikationen, ganz zu schweigen von falschen oder unvollständigen Informationen. Hinweise auf die zwei Hochzeiten finden sich allerdings bereits im Geschlechterbuch von 1912 (6).

Carl d. J. als Bildhauer

Die Berliner Bildhauerschule, die von 1786 bis 1914 existierte und die 1990 unter dem Titel „Ethos und Pathos“ mit einer Ausstellung gewürdigt wurde, listet Carl Begas mit nur drei Werken, im Vergleich zu zwölf seines Bruders Reinhold, und zwei von Reinholds Sohn Werner Begas (1872-1927). Bei genauem Hinsehen fehlt den Skulpturen von Carl Begas das Pathetische, Heroische, das den Figuren Reinhold Begas zu eigen ist; Reinholds der griechischen Mythologie entnommene Themen (Venus, Amor, Psyche, Zeus, Pan, Kentaur) sind ebenso heldenhaft-fern wie die Abbilder zeitgenössischer „Heroen“ (Kronprinz Wilhelm, Kaiser Wilhelm, Bismarck, Schiller, Humboldt), während die „Italienerin“ von Carl Begas durchaus „nahbar“ wirkt. Die auf naturgetreue Nachbildung versessene Ambition findet sich auch in Carl Begas Statue der Kaiserin Auguste Viktoria von 1904, in der die detailreiche Darstellung der Kleidung bei einer Marmorskulptur (!) für außergewöhnlich gute handwerkliche Fertigkeiten spricht, hinter der die künstlerischen Ansprüche offenbar zurückgetreten sind. Dass einer zweiten Ausführung der Statue – die erste stand in Potsdam am Neuen Palais – in der „Puppenallee“ im Tiergarten (Bild 3), die vor der Bombardierung Berlins zum Schutz vergraben wurde, nach dem Ausbuddeln der Kopf falsch aufgesetzt wurde, kann man nicht dem Künstler anlasten (Bild 4).

Bild 3: Postkarte des Rosengartens im Tiergarten mit der Statue von Kaiserin Auguste Viktoria (noch mit dem Kopf auf dem rechten Fleck, s. Bild 4, links).

Bild 4: Statue der Kaiserin Auguste Viktoria, rechts das Original, links die Kopie aus dem Tiergarten, nach dem Krieg mit verdrehtem Kopf) (Scan aus (2); S.25).

Ottmar Begas (1878-1931)

Gemessen am Leben und der Reisetätigkeit seines Vaters und dessen Brüder, die kaum über Italien hinausgekommen waren, war Ottmar Begas, der 1878 in Rom geborene Sohn von Carl Begas, von Anfang an „umtriebig“; da er jedoch dabei kaum in Berlin war und noch weniger im Lützow-Viertel, sollen die Stationen hier nur kursorisch genannt werden. Die Kunstausbildung erfolgte in Kassel und München, eine frühe Reise führte nach Texas, wo er 1900 Verwandte, Halbgeschwister seiner verstorbenen Mutter, besuchte und bei den Degners, einer befreundeten Familie seines Großvaters Ottomar vor Behr wohnte (Bild 6). Danach unternahm er Reisen nach Ägypten, Jemen, in die Südsee, nach Mexiko und Ostasien (7). Seine erste Frau, Marie Wagner geborene Trautvetter (1883-1969), lernte er vermutlich in Berlin kennen. Sie hatte eine stürmische Ehe (ab 1903) und Scheidung (1910) hinter sich, in deren Verlauf auch wechselseitige Kindesentführungen (oder -versuche) der Tochter Ruth aus ihrer Ehe mit Otto Wagner stattfanden, hiesige und amerikanische Gerichtsverhandlungen um das Sorgerecht und vieles Dramatisches mehr (8). Nachdem Ottmar Begas Maria Wagner/Trautvetter am 5. Oktober 1910 in New Jersey (USA) geheiratet hatte, pendelte das Ehepaar zwischen Berlin (Kaiserdamm 101, Charlottenburg) und Italien, wo sie sich dauerhaft niederlassen wollten. Die Ehe blieb kinderlos, sie trennten sich 1916, Marie kehrte nach Weimar in ihr Elternhaus zurück, und Ottmar heiratete erneut 1921, Marie Alberti. Ottmar Begas starb 1931 in Neapel durch Suizid. Seine erste Frau überlebte den Zweiten Weltkrieg und machte sich – posthum – durch ihr Engagement in der Bekennenden Kirche und der Herausgabe ihrer Tagebücher zum „Kirchenkampf im Nationalsozialismus“ einen Namen (8).

Bild 5: Liste der Einwohner von San Antonio City, Texas in der Volkszählung 1900. Ganz unten der Eintrag von Ottmar Begas, der bei den Degners (oben) als Neffe (nephew) zu Gast war (Quelle: Ancestry, gemeinfrei).

Anlage oder Umwelt

Ob es sich bei der Künstlerfamilie Begas um ein gutes Bespiel für vererbte künstlerische Begabung handelt, kann natürlich die Kunstgeschichte selbst kaum beantworten, jedenfalls nicht mit historischen Beispielen – dazu würde man moderne Gen-Forschung und heutige Beispiele, z.B. Zwillingspaare mit gleichen oder unterschiedlichen künstlerischen Ambitionen, benötigen, und solche Beispiele gibt es (9). Was jedoch in der Familie Begas gegen eine Vererbung spricht, ist der Umstand, dass nur einige der Kinder von Carl Begas der Ältere Künstler geworden sind (vier der acht Kinder), und dass in der dritten Generation dieser Anteil weiter sinkt, und auch die künstlerische Kraft und Innovation abnimmt statt sich weiter zu entwickeln. Dies und die Tatsache, dass der ältere Carl Begas nachhaltig und erzieherisch die künstlerische Entwicklung seine vier Söhne zu beeinflussen gesucht hat (wenn auch nicht immer erfolgreich) spricht dafür, dass Erziehung mehr als Gene und Genie hier eine Rolle gespielt haben.

Literatur

  1. Ludwig Pietsch: Die Künstlerfamilie Begas. Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Band 59 (1886), Seite 529-544 und 625-644.
  2. Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauerschule 1786-1914. Ausstellungskatalog. Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz Berlin 1990.
  3. Irmgard Wirth: Die Künstlerfamilie Begas in Berlin. Achte Veröffentlichung des Berlin-Museums. Berlin 1968.
  4. Wolfgang Cortjaens, Hrg. Familienbande. Der Briefwechsel von Carl Joseph Begas d. Ä. mit Oscar Begas 1840-1854. Böhlau-Verlag, Köln 2018.
  5. Begas-Haus in Heinsberg: https://begas-haus.de/
  6. Deutsches Geschlechterbuch (Genealogisches Handbuch Bürgerlicher Familien). Bernhard Koerner, Hg. Band 22 (1912). C.A.Starke, Görlitz.
  7. Rita Müllejans-Dickmann: Verweilen im Tropischen. Die Ostasienreise des Malers Ottmar Begas im Jahr 1901. Ausstellungskatalog Kreismuseum Heinsberg, Heinsberg 2008
  8. Marie Begas: Tagebücher zum Kirchenkampf 1933 – 1938. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Böhlau Verlag Köln 2016.
  9. Am Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik in Frankfurt forschen Fredrik Ullén und Kolleg*innen zur Rolle der Genetik bei Musikalität mithilfe von Zwillingsstudien.

Paul Enck

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