Balance gesucht
zwischen Freizügigkeit und Rücksichtnahme

(ein Beitrag von Matthias Bauer)

Regenschauer und Abkühlung sind nicht nur willkommen für die Vegetation im Gleisdreieckpark, sondern auch bei den Anwohner:innen. Versprechen doch solche Wetterwechsel ein paar ruhigere Nächte. Sobald es wieder wärmer wird, ist es mit der Ruhe vorbei. Was tagsüber friedlich und zivilisiert abläuft – auch wenn der Park sehr voll ist, wird nachts regelmäßig zum Stress. Elektrisch verstärkte Musik, lautes Gröhlen, Zerbersten von Flaschen usw. hält dann an bis in die frühen Morgenstunden.

Seit dem Sommer 2020 gibt es nun die Initiative „Gemeinsam fürs grünes Gleisdreieck“, die sich zum Ziel gesetzt hat, Lösungen zu finden für den Schutz der Anwohner:innen und des Parks.

Das Plakat „Schluss mit Ballerman im Gleisdreieckpark“ im Sommer 2020 von Beate K. Seiferth. Anwohnerin aus der Dennewitzstraße seit 25 Jahren, war die Initialzündung für die Bildung der Initiative „Gemeinsam fürs grüne Gleisdreieck“.

In den ersten Wochen nach Bildung der neuen BI wurden ca. 2 1/2 tausend Unterschriften gesammelt. Zahlreiche Gespräche wurden geführt mit Ämtern und Politikern des Bezirks und des Abgeordnetenhauses. Herr Geisel, als er noch Innensenator war, traf sich mit der Initiative vor Ort im Park und versprach, das Thema zur Chefsache zu machen.

tagsüber friedlich und zivilisiert  . . .

Im Winter 2020/2021 gab es dann unter der Leitung der Grün Berlin GmbH einen von der BI geforderten Runden Tisch, der monatelang tagte.

Doch die Ergebnisse des Runden Tisches  waren offensichtlich nicht ausreichend und das wenige wurde dann auch von Grün Berlin nur halbherzig umgesetzt. Noch nicht mal die einfachen Sachen wurden in Angriff genommen, wie mehr Toiletten. Die größeren Mülleimer waren eine Zeitlang da, inzwischen sind sie wieder verschwunden. Die von der Grün Berlin GmbH engagierte Parkaufsicht verhält sich eher konfliktscheu, das heißt sie geht nur selten auf Leute zu, die den Park mit großen Musikboxen beschallen.

Wenn alle Spätis schon zu haben, bietet sich Automat am BRLW im Westpark zur Versorgung der Party-Gäste an.

Das einzige, was den betroffenen Anwohner zur Zeit bleibt, ist regelmäßig die Polizei anzurufen, damit diese für Ruhe sorgt. Die Polizei hat jedoch oft anderes zu tun – sie kann nicht immer helfen. So haben viele Anrufe nur statistischen Wert.

Eine polizeiliche Lösung zur Durchsetzung des Grünanlagengesetzes ist nicht in Sicht. Für eine tatsächliche Lösung sind neue Ideen gefragt.

Wo können junge Leute feiern – ohne Anwohner:innen die Nachtruhe zu rauben?

Darauf hat bisher niemand eine Antwort. In der Vergangenheit gab es immer Freiräume in der Stadt, in denen dies möglich war. Das Fehlen der Sperrstunde prägte im alten Westberlin das Nachtleben. Nach dem Mauerfall waren es die Brachen, die leerstehenden Industrie- und Bahngelände, die europaweit eine magnetische Anziehungskraft ausübten. Doch mit dem Erfolg kamen die wirtschaftlichen Begehrlichkeiten der Immobilienentwickler. Das Tacheles ist schon lange verschwunden wie viele andere Orte danach. Dass die Lebendigkeit des RAW in Friedrichshain erstickt, wenn dort der 100 m hohe Büroturm gebaut wird ist, ist zu vermuten. Folgerichtig sind die Parks zu Party-Locations geworden. Nicht nur das „Gleisi“ – auch der Mauerpark, die Hasenheide, der Wilmerdorfer Volkspark und viele andere Orte. Umsonst und draußen und selbst organisiert – das ist das besondere, das in anderen Städten so nicht möglich ist. In Berlin scheint erlaubt (auch wenn es das genau genommen nicht ist), was in Paris und London unvorstellbar ist.

Wie finden wir die Balance zwischen der Freizügigkeit, die Berlin so attraktiv gemacht hat, und der Rücksichtnahme auf Anwohner:innen und sowie auf Flora und Fauna der Parkanlagen? Wenn Berlin weiter die Party-Haupstadt bleiben möchte, müssen neue Orte gefunden, bzw. geschaffen werden, an denen gefeiert werden darf – z. B. im Sommer auf den beiden ehemaligen Flughäfen Tegel und Tempelhof, im Winter in den vielen leerstehenden, auf Vorrat gebauten U-Bahnhöfen . . . weitere Ideen sind gefragt.

 

Zuerst veröffentlicht in gleisdreieckblog

 

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