Das jüdische Altersheim in der Lützowstraße (Teil 4): 256 Namen, 256 Schicksale

Im dritten Teil der Geschichte des jüdischen Altersheims (mittendran vom 11.5.2024) hatte ich berichtet, dass die schwedischen Autoren des Buches „No Remorse“ („keine Gewissensbisse“) (1) über einen schwedischen Alt-Nazi und dessen heutige Gefolgschaft sich die Mühe gemacht hatte, alle Bewohner des jüdischen Altersheims Lützowstraße 39/40 zu identifizieren und deren Schicksal zu rekonstruieren – etwas, was ich mir vor einigen Jahren nicht mal hätte vorstellen können, als ich ein Foto des Altersheims im digitalen Archiv des Leo-Baeck-Institutes in New York gefunden hatte (mittendran vom 8.Mai 2022).

Die Liste der Einwohner, die in den Adressbüchern der Jahre 1933 bis 1941 unter dieser Adresse gemeldet waren, umfasst 256 Namen, mit Geburtsdatum und Geburtsort und der Deportationsgeschichte, wie sie in einer oder mehreren der verschiedenen Holocaust-Datenbanken (Yad Vaschem, Gedenkbuch, Arolsen Archives, Mapping the Lives) festgehalten sind. Nochmal: die Liste ist das Verdienst der schwedischen Autoren Johan Ulvenlöv, Matti Palm und Anders Larsson, ich habe sie nur abgeschrieben, wo es nötig schien, übersetzt aus dem Englischen, und an der einen oder anderen Stelle, wo Informationen unklar waren, nachrecherchiert und in wenigen Fällen auch korrigiert.

Es schmerzt, diese Liste wieder und wieder anschauen zu müssen. Eine kleine, statistische Auswertung der Liste zeigt Folgendes: Die Liste enthält insgesamt 256 Namen, mehrheitlich Frauen (191 = 75%); das Durchschnittsalter betrug 70,8 (18 bis 94) Jahre. Nur acht Personen (6 Frauen) gelang die Flucht, 5 (4 Frauen) entzogen sich der Deportation durch Suizid, und 59 (40 Frauen) starben zuvor, ohne dass klar ist, ob dies ein „natürlicher“ Tod war oder ein verdeckter Suizid.

162 Personen (122 Frauen) wurden in die verschiedenen Konzentrationslager deportiert, die meisten nach Theresienstadt, und 158 wurden dort oder auf dem Weg dorthin ermordet; bei 20 weiteren Personen (17 Frauen) ist deren Schicksal bislang nicht bekannt. Zwei Frauen wurden im Februar 1945, drei Monate vor Kriegsende, freigekauft durch eine private schweizerische Initiative und gelangten in die Schweiz (s. mittendran vom 2. Oktober 2024), und nur eine Frau überlebte die Deportation und wurde 1945 bei Kriegsende aus dem KZ Mauthausen befreit.

Ich habe die Liste heute auf die Webseite „Jüdisches Leben und Widerstand in Tiergarten“ hochgeladen, damit sie auch von anderen und vor allem, damit sie in der digitalen Welt gefunden werden kann. Ich werde weiterhin versuchen, Schicksale zu klären, und sollte jemand weitergehende Informationen haben, bitte ich um Nachricht, um die Liste zu aktualisieren.

Literatur:

  1. Johann Ulvenlöv, Matti Palm, Anders Larsson: No Remorse. Gustaf Ekström, the SS volunteer who founded the Sweden Democrats. Vaktel förlag, Eskilstuna, Schweden 2019, Seite 240-269.

Paul Enck

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