(ein Beitrag von Susanne Storm, Reisen + Kultur)
“Des lieben Gottes Sommervergnügen” – so wurde die St. Matthäus-Kirche liebevoll von den Berlinern genannt – weil sie inmitten von Parklandschaft, Gärten und Feldern gebaut wurde. Die Kirche, in den Jahren 1844-46 vom Baumeister Hermann Wenzel nach Plänen des Architekten Friedrich A. Stüler errichtet, steht heute im Zentrum des Kulturforums. Stüler, ein Schinkel-Schüler, gehörte zu den produktivsten Architekten seiner Zeit. Alleine in Berlin und Potsdam sind u.a. das Neue Museum, die St. Jacobi-Kirche in Kreuzberg, die Gardekasernen gegenüber dem Schloss Charlottenburg sowie die Friedenskirche, die Orangerie und das Belvedere auf dem Pfingstberg in Potsdam von ihm gebaut worden.
Im 19. Jahrhundert wurde diese Wohngegend von der Dreifaltigkeitskirche (früher: Mohren- Ecke Glinkastraße) aus betreut – die allerdings lag weit entfernt. Bereits im 18. Jahrhundert entwickelte sich das Viertel zu einer Gegend mit schönen Bürgerhäusern, beeindruckenden Villen und Gärten. Unternehmer, hohe Beamte, Künstler und Wissenschaftler zogen in das südliche Tiergartenviertel, wodurch es später dann als “Geheimratsviertel” bezeichnet wurde. Die Idee, eine eigene Gemeinde zu gründen, fand an höchster Stelle Gehör und wurde dann umgesetzt. Mit dem enormen Bevölkerungswachstum in Berlin wuchs eben auch der Bedarf an Pfarrkirchen.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ein Kirchenbauverein gegründet, der diese Planung forcieren sollte. Der Geheime Rat Johann Friedrich von Koehnen war Vorsitzender. Der Mediziner Dr. Vetter, der das Gebiet zwischen der damaligen Tiergartenstraße und dem heutigen Reichspietschufer am Landwehrkanal baulich erschließen wollte, schenkte der Gemeinde ein Baugrundstück für die Kirche. Die Matthäikirchstraße mit dem dem gleichnamigen Platz sollte angelegt werden und, ganz zentral gelegen, die Kirche. Der damalige preußische König Friedrich Wilhelm IV., selber sehr interessiert an Architektur, erteilte die Baugenehmigung am 27. Januar 1844 für die Kirche sowie für den Platz mit Straße.
Stüler schuf eine dreischiffige Backsteinkirche im damals üblichen Rundbogenstil, mit Elementen der oberitalienischen Romanik. Ursprünglich sollte der Chor aus einer einfachen Apsis bestehen, König Friedrich-Wilhelm IV. war damit allerdings nicht einverstanden und so musste der Architekt seinen Plan umarbeiten. Im Süden wird jedes Schiff durch eine Apsis abgeschlossen, im Norden schließt ein schlanker Turm das Mittelschiff ab.
Die St. Matthäus-Kirche war die erste Kirche in Berlin, die auf einem eigens dafür geschaffenen Platz gebaut wurde – zur Kirche öffnete sich eine Straße zur Hauptachse der Kirche. Heute ist das kaum noch nachvollziehbar. Gut zwei Jahre nach der Baugenehmigung, am 17. Mai 1846, wurde die Kirche eingeweiht. Der bekannte Arzt und Politiker Rudolf Virchow, Mitglied der liberalen Deutschen Fortschrittspartei, war Gemeindemitglied. Theodor Fontane, die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm sowie der Verleger Parey gehörten ebenfalls zu den bekannten Namen dieser protestantischen Gemeinde.
Wir finden heute eine Gedenktafel des Berliner Künstlers Johannes Grützke neben dem Hauptportal der Kirche. Diese Tafel erinnert an Dietrich Bonhoeffer, der hier als junger Theologe im November 1931 für seinen Dienst als Pfarrer der evangelischen Kirche ordiniert wurde. Er wandte sich von Anfang an gegen den Machtanspruch der Nationalsozialisten und bekämpfte den Judenboykott und den sogenannten „Arier-Paragrafen“. Später unterstützte Bonhoeffer nachhaltig die Vorbereitungen zum Umsturzversuch des 20. Juli 1944. Bereits 1943 wurde Bonhoeffer verhaftet und – kurz vor dem Kriegsende – am 8. April 1945 im KZ Flossenbürg zusammen mit anderen Verschwörern wie Admiral Canaris, seinem Schwager Hans von Dohnany und General Oster ermordet.
In der St. Matthäus-Kirche gab es nach 1933 heftige Auseinandersetzungen zwischen den „Deutschen Christen“ und den Vertretern der „Bekennenden Kirche“, die Mehrheit hielt jedoch bei der Kirchenwahl 1933 der neutrale „Bund der Mitte“. Der BK-Pfarrer Erich Backhaus, der bereits im Februar 1932 vor einem „Heidentum von rechts“ warnte, setzte sich später für die verfemte „Judenmission“ ein und arbeitete mit dem „Büro Grüber“ zusammen, das sich für die Auswanderung deutscher Juden einsetzte.
Den Nationalsozialisten stand die Kirche für ihre Germania-Hauptstadtplanung im Wege. Im Tiergartenviertel um die Kirche wurden der Nord-Süd-Achse wegen viele Häuser, auch das Pfarrhaus der Kirche, abgerissen. Die Matthäus-Kirche überstand den 2. Weltkrieg als Ruine und blieb das auch über zehn Jahre.
Auch Mitte der 50er Jahre fand man hier immer noch eine Brache vor. 1956 begann der Architekt Jürgen Emmerich mit dem Wiederaufbau der Kirche. Äußerlich wurde der Bau rekonstruiert, der Innenraum wurde neu gestaltet, wobei die Aufteilung der Seitenemporen beibehalten wurde. Inmitten des Kulturforums ist die Kirche heute der einzige Altbau. Ihr Umfeld hat eine völlig andere Nutzung als vor dem Krieg – eine Entwicklung vom Wohn- zum Kulturquartier hat hier stattgefunden. Gerade dadurch aber wird die bis heute moderne und klare Gestaltung der Kirche deutlich. Die Architektur von Friedrich August Stüler und die Modernisierung der St.-Matthäus-Kirche gehen eine überaus gelungene Verbindung ein. Ich kann für mich sagen, dass ich mich in diesem Kirchenraum immer überaus wohl gefühlt habe. Das ist es eben auch, was gute Architektur ausmacht – ein gutes Raumgefühl zu erzeugen sowie gute Proportionen zu schaffen.
Ende der 1980er Jahre dann wurde der Turm von Gisela Breitling künstlerisch ausgestaltet. Sie hat sich hier mit dem Matthäus-Evangelium auseinandergesetzt und dabei vor allen Dingen die Geschichten der Frauen im Blick.
Aber nicht nur deshalb empfiehlt sich der Aufstieg auf den Turm. Mit einem Blick wird deutlich, an welch prominentem Ort die Kirche auch heute steht – umgeben von den Ikonen des Kulturforums: Philharmonie und Kammermusiksaal, Neue Nationalgalerie, Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett und Kunstgewerbemuseum sowie Staatsbibliothek. Neu hinzugekommen ist der Blick auf die Baustelle für das Museum der Moderne.
Die St. Mätthäus-Kirche ist heute zwar auch noch Gemeindekirche, wird aber gleichzeitig von der 1999 gegründeten Kunst- und Kulturstiftung St. Matthäus getragen (eine Stiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz). Die Aufgabe dieser Stiftung ist es, den Dialog der Kirche mit den Künsten sowieKünstlerinnen und Künstlern zu fördern. So haben wir heute auch einen wichtigen kulturellen Ort an dieser Stelle, der mit seinen Veranstaltungen immer wieder Impulse setzt. Die Stiftung kooperiert u.a. mit den Staatlichen Museen – insbesondere mit der Gemäldegalerie am Kulturforum – , mit der Jüdischen Gemeinde, mit privaten Galerien sowie Kulturinstitutionen im In- und Ausland.
Neben den wechselnden Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst finden wir im Innenraum der Kirche Objekte, die dort schon lange ihren Ort gefunden haben.
Der Berliner Künstler Sigmund Hahn hat seine Arbeit überwiegend in den Dienst der Kirche gestellt, in über 40 Berliner Gemeinden finden wir Altargeräte und Kirchenfenster von ihm. Die Sakristei-Fenster mit Themen der Apostelgeschichte sind 1960 für die St. Matthäuskirche entstanden.
Der Kopf des “Afrikanischen Christus” von Gerhard Marcks ist eine Kopie des “Afrikanischen Kruzifix”, eine Bronze, die in der Auferstehungskirche in Bad Oeynhausen zu finden ist. Wir sehen einen “Schmerzensmann” der Riemenschneider-Werkstatt, die Skulpturen “Ecco homo” von Michael Morgner und “Antlitz” von Vadim Sidur.
Der israelische Künstler Micha Ulmann, der u.a. den beeindruckenden Gedenkort für die Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz gestaltet hat, wurde eingeladen, sich künstlerisch mit der schwierigen Beziehung zwischen Juden und Christen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ging es darum, einen künstlerischen Ansatz der Verständigung zu finden. Im November 2013 wurde das Kunstwerk “Stufen” öffentlich übergeben.
Neben den Künstlerinnen und Künstlern, die in der St. Matthäus-Kirche präsentiert werden, finden regelmäßig Konzerte, Predigtreihen sowie Diskussionen über die unterschiedlichsten Themen statt.
Aktuell kann man eine Ausstellung mit dem Titel „Der Erfinder der Elektrizität“ – Joseph Beuys und der Christusimpuls – besuchen. Arbeiten aus unterschiedlichsten Schaffensperioden des Künstlers werden hier präsentiert und sind bis zum 2. September 2021 (kostenfrei) zu sehen. Die Arbeiten des Fotografen Lothar Wolleh, der zeitweise mit Beuys zusammengearbeitet hat, ergänzen die Ausstellung auf den Emporen der Kirche. Ein Begleitprogramm findet im Rahmen der Kanzelredenreihe „Christusimpulse. Kanzelreden zu den ‚Ich bin-Worten‘ Jesu“ statt.
Zur Autorin: Reisen und Kultur – das ist das Grundangebot von Susanne Storm aus unserem Kiez. Aber sie ist vor allem auch erfahrene Stadtführerin in Berlin. Sie möchte uns gerne mit ihrer Leidenschaft für Berlin anstecken, schreibt sie auf ihrer Website https://reisen-kultur.de. Und sie kennt natürlich die Kulturstätten in unserem Kiez. Wir haben sie eingeladen, auf unserem Blog in diesem Jahr einen „Rundgang ums Kulturforum“ zu machen.