(ein Beitrag von Prof. Dr. Paul Enck, www.paul-enck.com)
Wie schon beschrieben, wurde die Lützowstraße nicht nach dem Major der Napoleonischen Befreiungskriege, Ludwig Adolf Wilhelm Freiherr von Lützow, benannt, sondern nahm ihren Anfang als Lietzowerweg (oder Lützowerweg), um 1850 zur Lützowerwegstraße zu werden und 1868 zur Lützowstraße. Die Körnerstraße (zwischen Lützowstraße und Steglitzer Straße – heute: Pohlstraße) wurde 1865 nach dem Dichter Carl Theodor Körner (1791–1813), selbst Mitglied des Lützowschen Freikorps, benannt, vermutlich um auch diesen Straßennamen der „Militarisierung“ alter und neuer Straßen in Berlin anzupassen (1) – eine wohl eher bewusste Irreführung der Bevölkerung, wussten doch die Namensgeber der Straßen im Jahr 1868 sehr wohl den historischen Ursprung des Straßennamens Lützowstraße (s. mittendran vom 21.9.2020).
Mark Twain in der Körnerstraße
Dass Mark Twain in der Körnerstraße 7 wohnte, wenn auch nur für drei Monate (von Oktober bis Dezember 1891), ist hinreichend bekannt (2). Denn am alten Fernmeldeamt, das 1903 das Wohnhaus (und drei weitere benachbarte Wohnhäuser) ersetzte, hängt heute eine Erinnerungstafel. Twain wohnte hier in der 1. Etage (Belletage) in 5 Zimmern mit einigem Komfort, für zeitgenössische Verhältnisse, z.B. einem Badezimmer mit Badewanne, allerdings gab es in dem 1865 gebauten Haus noch kein elektrisches Licht. Einen Grundriss der Wohnung zeigt Austilat (2).
Mark Twain hat in einer amüsanten Geschichte beschrieben, wie ihm ein Makler die Gegend als bevorzugte Wohnlage des deutschen Adels versucht hatte zu vermitteln und ihm andere Wohnungen madig machte: „Einige lagen an der großen und prächtigen Potsdamer Straße, andere am Ufer eines hübschen Kanals mit schattigen Bäumen und schöner Aussicht auf das wogende Wasser und Brücke“ – klingt sehr nach Schöneberger oder Lützowufer (3). Was aber erstaunt – Twain wäre sicherlich begeistert gewesen, hätte er es erfahren –, ist, dass diese drei Monate ausgereicht haben, ihn im Berliner Adressbuch des Jahres 1892 unter seinem bürgerlichen Namen „S. L. Clemens, Privatier, W., Körnerstr. 7, I“ zu verewigen (Bild 1).
Mark Twains Begeisterung für Berlin („das europäische Chicago“) steht dabei in auffälligem Gegensatz zur liebevollen Skepsis seines deutschen Dichter-Kollegen und des Ur-Berliners Theodor Fontane (4). Twain zog im Januar 1892 in das Hotel Royal am Pariser Platz – sicherlich eine schickere Adresse –, auch wenn die Körnerstraße nicht der Slum war, für den er sie hielt (3).
Nur das mit den Hausnummern in Berlin hat er nicht verstanden und schon gar nicht geschätzt: „Was die Hausnummern betrifft: So etwas hat es seit dem Chaos zu Anbeginn der Welt nicht mehr gegeben. Diese kluge Stadtverwaltung kann das unmöglich veranlasst haben. Zunächst denkt man, dies sei das Werk eines Idioten, aber dafür ist die Sache zu abwechslungsreich. Ein Idiot könnte sich nicht so viele Methoden ausdenken, Konfusion zu schaffen und Blasphemie zu verbreiten. Die Hausnummern laufen auf der einen Straßenseite von unten nach oben und auf der anderen von oben nach unten. Das ist noch erträglich, aber der Rest ist es nicht. manchmal wird die gleiche Nummer für drei oder vier Häuser verwendet, manchmal schraubt man sie nur an eines der Häuser, und was die anderen betrifft, darf man raten. Manchmal gibt man einem Haus zum Beispiel die Nummer 4, dann geht es weiter mit 4a, 4b, 4c, und man wird alt und gebrechlich, bis man endlich Haus 5 gefunden hat. Dieses systemlose System führt dazu, dass man, wenn man die Nummer 1 einer Straße erreicht hat, niemals weiß, wie weit es bis Nummer 150 ist. Es könnten nur sechs oder acht Straßenblocks sein, vielleicht aber auch eine Entfernung von mehreren Meilen“ (5).
Die folgende Geschichte wäre aber Wasser auf Twains Mühlen gewesen: In der Polizeiakte der Körnerstraße (6) fanden wir die Rechnung eines königlichen Vergolders Otto Noack vom 11. Januar 1868 (Bild 2), der sich mit der Herstellung eines Teils der Hausnummernschilder eine „goldene Nase“ verdient hatte: diese mussten laut königlichem Erlass blau sein mit goldenen Zahlen. Offenbar waren Twains Nachbarn, die Eigentümer und Mieter der Häuser mit den Nummern 6, 10, 17, 18 und 19, schon zwanzig Jahre zuvor, als die Häuser gerade gebaut worden waren, nicht in der Lage, die königlich verordneten Schilder auf eigene Kosten herstellen zu lassen. Der Preis dafür, so erfahren wir auf der Rechnung, betrug je Schild 10 Groschen (etwa 9 Euro an Kaufkraft (7)), und wurde (s. mittendran vom 14.4.2022) auch mehr als 60 Jahre nach Inkrafttreten der Regelung noch von der Staatskasse beglichen.
Literatur
- Julius Löwenberg. Der Fremde in Berlin und Potsdam. 7. Auflage. K.H.Schroeder Verlag 1850 (S. 47).
- Andreas Austilat. Mark Twain in Berlin. Bummel durch das Europäische Chicago. Berlin, BeBra Verlag 2014.
- Mark Twain. Wie man in Berlin eine Wohnung mietet. In: Andreas Austilat. Mark Twain in Berlin. Bummel durch das Europäische Chicago. Berlin, BeBra Verlag 2014. S. 125-133.
- Theodor Fontane. Wie man so lebt in Berlin. Beobachtungen und Betrachtungen aus der Hauptstadt. Herausgegeben von Gotthard Erler. Aufbau-Verlag, Berlin, 2019 (2. Auflage).
- Mark Twain. Berlin – das Chicago Europas. In: Andreas Austilat. Mark Twain in Berlin. Bummel durch das Europäische Chicago. Berlin, BeBra Verlag 2014. S. 159-175.
- Landesarchiv Berlin: Akte A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 17943 (Nummerierung der Körnerstraße).
- Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages. Kaufkraftvergleiche historischer Geldbeträge. Drucksache WD 4 – 3000 – 096/16 (2016) enthält eine Tabelle der Deutschen Bundesbank vom 19.1.2016 mit Kaufkraftäquivalenten historischer Beträge in deutschen Währungen seit 1810 – Gulden, Taler, Mark, Reichsmark, D-Mark.