(ein Beitrag von Peter Fabian)
Im Kiez sehen wir den kleinen alten Mann mit der Schiebermütze seit vielen Jahren täglich in den Cafés, Gäste im Interieur zeichnend. Früher oft im Einstein und in der Joseph Roth Diele, später im P103 und im Zimt & Zucker, in letzter Zeit bei Rose im Why Not – gleich um die Ecke der Kluckstraße, wo der Wahl-Berliner Edwin Dickman seit 1982 zuhause ist.
In unsere Stadt kam er schon 1958, nach vier Semestern an der an der Edinburgh Art Academy, zum Studium an die Hochschule der Künste (HdK) Berlin (ab 2001 UdK). 1929 in Chicago geboren, aufgewachsen in New York, beschäftigte sich Dickman zunächst nach einem kurzen Philosophiestudium in Harvard mit Theater und Malerei. Ab 1954 leistete er seinen Wehrdienst in der Navy und war für die NSA als Kurier unterwegs.
Nach seinem Diplom an der HdK (1963) stellte Dickman in der von Ex-Kommilitonen Lüpertz, Spengler, Wintersberger (damals in einer WG in der Winterfeldtstraße zuhause) u.a. in einer vormaligen Schöneberger Tischlerei gegründeten Galerie „Großgörschen 35“ aus. 1964 kam hier sein mit Klaus Märtens gedrehter Film „Das Urteil des Paris“ zur Uraufführung (Edwin als Paris). In dieser ersten Produzentengalerie Deutschlands waren auch Österreicher wie Arnulf Rainer (1967) willkommen, wurden vorberühmte Autoren wie Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, H. C. Artmann, Gerhard Rühm oder Peter Handke zu Lesungen eingeladen.
In der Folge hatte Dickman eine Reihe von Ausstellungen in der Stadt, zum Beispiel in der Galerie Taube, im Künstlerhaus Bethanien, im Haus am Kleistpark oder im FHXB Museum Friedrichshain-Kreuzberg, das den Wahl-Berliner unter „Kreuzberger Bohème“ archiviert. Als Autor war er auch vernetzt mit der 1972 von Aldona Gustas zusammen mit Schnurre, Grass, Mühlenhaupt und G. B. Fuchs gegründeten Gruppe der „Berliner Malerpoeten“. Entsprechend poetisch schildert er seinen Besuch im Jahr 1960 in der Kreuzberger Trödelgarage des Malers Kurt Mühlenhaupt – in dessen Leierkasten-Galerie er zwei Jahre darauf ausstellen sollte:
„An American came into his shop looking for an old clock. There was an antique one with a huge swinging pendulum. As the American stared at it, his eyes began to sway. The artist made a drawing an then a painting. And as you look at his picture, you truly become dizzy. You seem yourself, to be swinging in a clock.“
Ein Lese- und Ausstellungsraum für sich ist Edwin Dickmans Gartenhaus-Atelier. Zeichnungen, Radierungen und Ölbilder in Petersburger Hängung, prall gefüllte Grafikschränke, überbordende Regale, übersäter Fußboden. Sein Werk changiert zwischen Motiven aus der Mythologie sowie dem Alten Testament und urbanen Alltagsszenen. Er ist ein Chronist von West-Berlin – und bevorzugt dessen Berlinerinnen: Wenn der Amerikaner in Berlin anhand unzähliger Aktzeichnungen aus seinem Bohème-Leben plaudert, so erinnert das an einen Amerikaner in Paris – an Henry Miller, den Dickman 1964 in Berlin getroffen hat.
Der deutschen Sprache entzieht sich Edward Dickman bis heute. Seine humorvolle Konversation verrät die irisch-schottische Prägung durch die Familien der Eltern – deren Familiennamen Buckley er früh gegen jenen seines Stiefvaters ausgetauscht hat. Zwischen 1972 und 1982 war er mit der Berliner Musiklehrerin Maria verheiratet, pendelte zwischen seinen Wohnsitzen in Berlin und Pollença auf Mallorca, wurde Vater einer Tochter und zweier Söhne. Auch wenn ihm heute das Alter zu schaffen macht (sein Rat: „Try to avoid to get old“): Es möge weiterschwingen, Eds Uhrpendel.
Herzlichen Glückwunsch zum 93. Geburtstag am 5. September!