Erziehung und Wissenschaft damals (4): Die Gemeindeschulen im Lützow-Viertel

Schulen der Allgemeinbildung, Gemeindeschulen oder Volksschulen genannt, haben wenige gedruckte Spuren in der Geschichte hinterlassen. Manchmal gibt es anekdotische Erinnerungen einzelner Schüler, aber anders als bei den sogenannten „weiterbildenden Schulen“ (Realschulen, Gymnasien) wurden meist keine Jahresberichte und Abschlüsse öffentlich dokumentiert, gibt es keine Schülerlisten in Archiven und Lehrerporträts in Zeitungen. Gemeindeschulen hatten keinen Namen, sie wurden durchnummeriert. Die folgende Übersicht über Gemeindeschulen im Lützow-Viertel basiert allein auf der Auswertung der Berliner Adressbücher von 1850 bis 1933. Erstaunlich, dass sich auch daraus ein informatives Bild über Schulerziehung in diesem Zeitraum ergeben kann.

Im Viertel sind zehn Gemeindeschulen verzeichnet (Bild 1), die es zwischen 1862 und 1933 hier gegeben hat, einige davon sind ein- oder mehrmals umgezogen, einige haben das Viertel verlassen. Nicht alle sind zur gleichen Zeit eröffnet worden, sondern nach und nach – mit dem Wachstum der Stadt – entstanden. In den mehr als 80 Jahren zwischen 1850 und 1933 ist die Gesamtzahl der Gemeindeschulen von wenigen (18) auf über 300 gestiegen (Faktor 15), parallel zum Anstieg der Bevölkerung im gleichen Zeitraum von 432.000 auf 4.242.000 (Faktor 10). Dies zeigt (unter anderem), dass in diesem Zeitraum die Bedeutung einer Grundschulausbildung überproportional gestiegen war. Immerhin gab es bereits seit 1717/1763 in Preußen eine allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Jungen, nur wurde diese Ausbildung nicht von der Gemeinde zur Verfügung gestellt, sondern von Kirchen, Sozialinstitutionen, Stiftungen und Privatleuten, war daher weder standarisiert noch in jedem Fall kostenfrei. Mehr als 130 solcher Privatschulen für Knaben und Mädchen (oder beide) listet das Adressbuch von Berlin im Jahr 1855.

Bild 1: Sineck-Plan von Berlin (Auszug) von 1891 mit den markierten Gemeindeschulen.

Die ersten 14 Gemeindeschulen tauchten im Jahr 1856 auf, in dem sie noch als „Communal-Armen-Schulen“ bezeichnet wurden (Bild 2), und erst ab dem Jahr 1862 hießen sie Gemeindeschulen: 18 davon gab es in diesem Jahr. Die Aufsicht im Jahr 1864 hatten die evangelische (21) und die katholische Kirche (6), was nicht ganz dem Verhältnis der beiden Religionen (10:1) in der Gesamtbevölkerung in dieser Zeit entsprach. Nach 1867 wurde die Religionsausrichtung der Schule nicht mehr genannt, der „Kulturkampf“ Bismarcks gegen die Kirche warf seine Schatten voraus, aber erst mit dem Schulaufsichtsgesetz von 1872 ging die Aufsicht auf den Staat über. Ab 1895 gab es wieder katholische Gemeindeschulen, in diesem Jahr waren es 14 von 208.

In den Jahren ab 1870 stieg die Zahl der Gemeindeschulen kontinuierlich an und erreichte 1920 mit 312 ihr Maximum; ab 1925 kamen noch 20 sogenannte Hilfsschulen hinzu, in denen lernschwache Schüler*innen separiert und unterrichtet wurden. Etwa gleich viele Gemeindeschulen im Jahr 1925 unterrichteten Knaben oder Mädchen, aber es gab auch 19 gemischte Schulen. Ob in den gemischten Schulen auch innerhalb der Klassen Koedukation erfolgte, gibt das Adressbuch nicht her.

Die älteste Gemeindeschule im Lützow-Viertel war die 22. Gemeindeschule (Rektor: Becker). Sie startete 1862 am Lützowerweg 10 (heute etwa Nr. 90), zog fünf Jahre später (1867) in die Kurfürstenstraße 10 (da, wo heute 40 ist) und 1870 auf die andere Straßenseite, Kurfürstenstraße 39 neben der gerade errichteten Zwölf-Apostel-Kirche. Diese Adresse war ab 1871 – durch Umnummerierung – die Kurfürstenstraße 141; dort blieb sie bis 1893, dann zog hier die Baugewerkschule Berlin ein und baute sich 1911-1914 ein neues Gebäude.

Die 53. Gemeindeschule (Rektor: Weist) begann 1873 in der Steglitzer Straße 79 (heute Pohlstraße) und war ab 1874 in der Kurfürstenstraße 160-161 (Ecke Steinmetzstraße), wo sie bis 1906 blieb. Im Jahr 1907 war sie nicht mehr gelistet, hier wurde die Victoria-Fachschule für Mädchen eingerichtet, das Gebäude, in dem heute die MELO (Marie-Elisabeth-Lüders-Schule) untergebracht ist. Die 53. Gemeindeschule zog stattdessen 1908 in den Wedding, erst in die Lütticher Str. 4, dann in die Ostender Str. 39, wo sie bis 1932 verblieb, dann wurde sie aufgelöst.

Die 92. Gemeindeschule (Rektor: Schmidt) begann 1875 in der Steinmetzstraße 24 und war ab 1881 in der Verlängerten Alveslebener Straße 24, die ab 1887 Winterfeldtstraße 16 hieß. Dort blieb sie bis 1930, dann wurde sie offenbar ebenfalls aufgelöst.

Die 99. Gemeindeschule (Rektor: Sommerkorn) begann 1878 in der Steinmetzstraße 6 und zog 1888 auf die andere Straßenseite in ein neues Schulgebäude in der Steinmetzstraße 79, wo sie bis 1926 blieb. Danach war sie nicht mehr ausgewiesen im Adressbuch, also vermutlich aufgelöst; das Gebäude wurde von der erweiterten Victoria-Fachschule bezogen. Die 99. Gemeindeschule war gerade ausgezogen, da zog die 107. Gemeindeschule (Rektor: Carl Becker) 1881 in der Steinmetzstraße 6; sie wechselte 1884 in die Genthiner Straße 4 (heute Nr. 10) (Bild 2 und 3).

 

Bild 2 und 3: Eingang (Lehrerhaus) und Innenhof der 107. Gemeindeschule in der Genthiner Straße 4 (heute: Nr. 10), wo die Schule seit 1884 residierte (Quelle: Bildarchiv Foto Marburg, Aufn.-Datum: 1885/1920 – Repro-Datum: 1977/1982, Nr. KBB 7.308 und 7.309 mit freundlicher Genehmigung). Das Lehrerhaus steht noch heute.

Die 126. Gemeindeschule (Rektor: Nicolaus) begann 1884 in der Frobenstraße 22-23, sie blieb hier bis 1886, dann zog sie in die Culmstraße (später: Kulmer Straße) 15 bis 1933, ebenso wie die 143. Gemeindeschule (Rektor: Geisler), die 1885 in der Frobenstraße 22-23 begann und 1886 in die Culmstraße 15 zog.

In dem freiwerdenden Schulgebäude in der Frobenstaße 22-23 begann 1887 die 157. Gemeindeschule (Rektor: Ferd. Schmidt), die zwei Jahre später (1889) in die Derfflinger Str. 18a zog, ebenso wie die 164. Gemeindeschule (katholisch, Rektor: Halama), die 1888 in der Frobenstraße 22-23 begann und 1889 ebenfalls in die Derfflinger Str. 18a zog. Beide blieben hier bis 1933. Und als sie aus der Frobenstraße ausgezogen waren, zog die 173. Gemeindeschule (Rektor: Geschke) 1889 dort ein und blieb bis 1894, als sie umsiedelte in die Pallasstraße 15.

Nach dem 2. Weltkrieg war dann alles anders, als die französischen Schulen (Vorschule = École maternelle, École Voltaire, Französisches Gymnasium) ins Viertel kamen und die Allegro Grundschule dort einzog, wo vorher das Falk-Realgymnasium und die Charlotten-Mädchenschule war, aber das sind andere Geschichten.

Paul Enck

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