Dieser Text war längst fertig, als mich eine Nachricht aus den Hause Türklitz, den heutigen Eignern der Firma Möbel-Hübner erreichte, wonach die Familie Türklitz aus Brandenburg an der Havel wohl abstamme „von jüdischen Stoffhändlern/-herstellern, die ca. im Jahr 1650 auf den Namen Tuchelitz getauft wurden„. Das war neu, bislang nirgendwo beschrieben und eine weitere Recherche wert, die mich – analog, nicht etwa digital – in das Domstifts-Archiv nach Brandenburg brachte, um dort die Ortsfamilienbücher Brandenburgs einzusehen (1). Die waren in den 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts von einem Brandenburger Historiker (Ernst Haug) ausgewertet und der Nachwelt in vier handgeschriebenen Karteikästen hinterlassen worden. Diese Karteikarten wurden wiederum in den 70er Jahren von einem anderen Zeitgenossen (Hartwick Quabeck) in Maschinenschrift übertragen und sind im Brandenburger Domstiftarchiv einsehbar, ebenso wie die originalen Karteikarten und die inzwischen digitalisierte Liste der transkribierten Karten.
Eine fragwürdige genealogische Abstammungshypothese
Um es vorwegzunehmen: nach meinem Dafürhalten stimmt diese Abstammungshypothese der Türklitz nicht, sie lässt sich mit den zugänglichen Daten nicht belegen. Es gab zwar eine Taufe eines erwachsenen Juden in Brandenburg im Jahr 1639, die in den Kirchenbüchern von St. Katharinen dokumentiert ist, unter Patenschaft von erheblicher lokaler Prominenz. Aber das Kirchenbuch nennt nur den (früheren) Vornamen Jacob, der nunmehr Christianus sein solle – da Juden zu diesem Zeitpunkt keine Familiennamen kannten, wurde dieser auch nicht im Kirchenbucheintrag genannt. Denkbar ist zwar, dass Jacob als Händler von Tuchwaren in der Gemeinde den Rufnamen „Tuchelmann“ hatte. Dem Ortsfamilienbuch dieser Jahre kann man aber entnehmen, dass es 1624 einen (und nur einen) in diesem Jahr zum Bürger ernannten Jacob Tüchelmann in der Stadt gab; zu allen späteren Zeiten taucht der Name nicht mehr in den Bürgerlisten auf. Auch ist es eher unwahrscheinlich, dass dieser Jacob Tüchelmann besagter Jude gewesen ist: Juden konnten im Jahr 1624 weder in Brandenburg noch in anderen deutschen Landen Bürger werden (in Preußen erst ab 1830), sie hatten im besten Fall ein Aufenthaltsrecht als „Schutzjuden“, und das musste regelmäßig erneuert werden. Eine Einbürgerung vor der Taufe ist daher unwahrscheinlich. Die spezielle Geschichte der Juden in Brandenburg (Havel) (1) spricht ebenfalls dagegen. Die ganze Argumentationskette ist leider zu lang, um sie hier dazulegen.
Wenn also Jacob Tuchelmann nicht der Vorfahre der Familie Türklitz ist, woher stammt die Familie dann? In den bis 1570 zurückdatierenden Bürgerlisten Brandenburgs und den Kirchenbüchern von Sankt Katharinen und dem Dom Peter und Paul taucht der Name Törckelitz (oder dessen Variationen: Türckelitz, Tirkelitz, Türkelitz, Turklitz, Türklitz) erstmals 1729 auf: Ein Andreas Törckelitz, Zeugmacher aus Belzig, erwirbt in der Brandenburger Neustadt das „Stapelsche Haus“ (Bild 1) und wird am 17. Juni 1729 Bürger der Stadt. Nehmen wir ihn zum Ausgangspunkt der Familiengeschichte, kennt die Genealogie der Türklitz insgesamt zehn gesicherte Generationen (Bild 2). Und in Belzig ist möglicherweise der Vater dieses Andreas Törckelitz ein Martin Türkeliss, Ziegelmeister, der dort am 23. August 1703 verstarb, aber das ist nicht gesichert.
Die Herkunft der Hübners aus dem Saale-Kreis
Eine nicht so lange Kette an Vorfahren kennen wir für die Familie Hübner, deren letztes Glied, Gertrud Hübner (1914-2017), im Jahre 1935 Arno Türklitz heiratete – die Hübners waren seit etwa 1880 in der Stadt und lebten immer hier im Viertel oder in der Nähe. Genealogisch rückwärts führt deren Spur nach Schwerz im Saalekreis, aber die ist hinsichtlich der vorhandenen Kirchenbücher digital nicht und analog nicht leicht zugänglich.
Nicht leicht zugänglich ist auch Firmengeschichte von Möbel Hübner, da selbst das Wirtschaftsarchiv Berlin-Brandenburg (WA-BB) klagt, dass das firmeneigene Archiv für Recherchen nicht zugänglich gemacht wird. Wir sind also auf das Material angewiesen, das wir dennoch im Landesarchiv Berlin (LAB), im Wirtschaftsarchiv Berlin-Brandenburg (WA-BB) und im Brandenburgischen Landeshauptarchiv (BLHA) in Potsdam gefunden haben, neben den Kirchenbüchern im Evangelischen Landesarchiv (ELAB) bzw. bei Archion.
Angefangen hat es mit dem Schreinermeister Friedrich Wilhelm Hübner, geboren um 1850 in Schwerz, Saalekreis, Sohn des dort verstorbenen Landwirts Hübner und dessen Ehefrau, der nach seiner Heirat mit Helene Hübner geborene Streicher aus Mücheln (Kreis Querfurt) um 1880 nach Berlin kam und zunächst gemeinsam mit dem Tischler W.Schenck eine Tischlerei und Möbelhandel in der Lützowstraße 14 eröffnete (Bild 3) – hier war zuvor die Tischlerei Bachmann ansässig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt wohnten Wilhelm Hübner und seine Frau in der Alten Jacobstraße 135. Nach drei Jahren (1882) endete die Schenck-Hübner-Partnerschaft, Wilhelm Hübner eröffnete seine eigene Tischlerei in der Körnerstraße 4 und zog an die gleiche Adresse. Hier kamen in der Folge drei Kinder zur Welt, am 25. Oktober 1882 Karl Friedrich Wilhelm, am 24. November 1884 Christiane Charlotte Margarethe und im Jahr 1890 Julius Friedrich Wilhelm. Und wie in Berlin so üblich zu diesen Zeiten, änderte sich mit der Größe der Familie deren Wohnung, sie zog zunächst in die Körnerstraße Nr. 21 (1884), dann in die Nr. 10 (1885). Für die nächsten 10 Jahre änderte sich kaum etwas, aber 1897 verlegte Wilhelm Hübner die Tischlerei und Wohnung in die Bülowstraße 61, und eröffnete unter dem Namen seines Sohnes Karl im gleichen Jahr eine Möbelhandlung in der Steglitzerstraße 27 (heute: Pohlstraße 58), in der zuvor noch die Leipziger Klavierbau-Firma Ibach ihre Pianos verkauft hatte (Bild 4) – der gehörte auch das Haus, noch bis 1932. Karl war zu diesem Zeitpunkt noch keine 18 Jahre alt.
Karl Hübner heiratete am 17. März 1908 Auguste Emma Helene Gauert, geboren am 17. August 1887 in Rosenthal, Tochter des Bauerngutsbesitzers Wilhelm Gauert und dessen Ehefrau Emma, geborene Noack. Das Ehepaar hatte nur ein Kind, Gertrud, geboren am 2. Februar 1914. Da war die Firma bereits (ab 1. März 1913) in die Genthiner Straße 37 umgezogen, der finalen Adresse von „Möbel Hübner“ (Bild 5).
Die Schwester von Karl Hübner, Charlotte Margarethe, hatte vier Jahre zuvor (1904) den Maschinenmeister Eduard Sack aus Cöthen (Köthen, Sachsen-Anhalt) geheiratet. Den zweiten Sohn von Wilhelm Hübner, Julius Friedrich, haben wir in späteren Unterlagen nicht mehr wiedergefunden – im Kirchenbuch-Sterbeeintrag der Mutter sind noch alle drei Kinder als Nachkommen vermerkt; sie starb am 5. Juni 1910 in der Charité nach einer Lungenembolie. Als der Vater am 11. Februar 1917 verstarb („Herzlähmung“), war auch der Sohn nicht mehr am Leben. Wir können nur vermuten, dass er im Verlauf des ersten Weltkriegs an der Front gestorben ist, denn sein Geburtsjahr 1890 gehörte zu den Jahrgängen, die zu den Waffen gerufen wurden.
Die Geschichte wäre vermutlich die einer „normalen“ Handwerks- und Kaufmannsfamilie geblieben, hätte nicht Gertrud Hübner 1935 Arno Türklitz getroffen und geheiratet. Die Möbelschreinerei Albert Türklitz (1841-1890) und das Möbelgeschäft seines Bruders Karl Türklitz (1835-1915) in Brandenburg (Havel) hatte eine vergleichbare Geschichte, aber Emil Türklitz (1871-1954) beerbte seinen Onkel Karl und seinen Vater Albert, verband die geschäftlichen Aktivitäten beider Betriebe und expandierte nach Berlin: ab 1933 gab es eine Filiale des Möbelhandels Emil Türklitz an der Potsdamer Straße 89 (nord-östliche Ecke der Kreuzung von Potsdamer und Aldenhovenerstraße), die sein Sohn Arno leitete. Der Rest ist Geschichte (2).
Wachstum, Wachstum, Wachstum
Wenn eines die Firma Möbel Hübner unter der Leitung von Arno Türklitz auszeichnet, dann ist es die wundersame Vermehrung von Immobilien, bis schließlich der ganze Block zwischen Magdeburger Platz, Magdeburger Straße, Steglitzer Straße und Genthiner Straße zum Hübner-Imperium gehörte (Bild 6) – und etliche Liegenschaften darüber hinaus. Die meisten Zugewinne sind vermutlich dem Umstand zu verdanken, dass nach dem 2. Weltkrieg die Grundstücke weitgehend geräumt waren, einige Eigentümer vermutlich den Krieg nicht überlebt hatten und deren Erben daran interessiert waren zu verkaufen. Dies insbesondere deshalb, weil in den 60er Jahren die Stadt plante, die Pohlstraße zu einem Teil der Südtangente der Stadtautobahn zu machen (3), und die sollte direkt am neuen Hochhaus des Möbelhauses Hübner vorbeiführen (Bild 7).
Emil Türklitz (1871-1956), so erzählte sein Sohn Arno (1911-1993) in einer Festrede im Jahr 1967 anlässlich der Eröffnung dieses Hochhauses, vertrat das Credo, „daß man Nachbarhäuser nur alle 200 Jahre kaufen kann und es in jedem Fall auch tun soll“ (4). Nach einem solchen Motto scheint die Familie nicht nur in Brandenburg, sondern auch in Berlin gehandelt zu haben, als es um den Erwerb von Immobilien in der Umgebung des Stammhauses in der Genthiner Straße ging – auch schon vor und während des Krieges. Das hat nach dem Krieg, als die Verantwortung für die Geschäfte von Möbel Hübner ausschließlich in den Händen von Arno Türklitz lag (sein Schwiegervater war 1945 in den allerletzten Kriegstagen durch Granatsplitter ums Leben gekommen), zu zwei Wiedergutmachungsprozessen geführt, die – wie wir sehen werden – verhältnismäßig reibungslos und still verlaufen sind, ganz im Gegensatz zu den an anderem Ort beschriebenen Verfahren in der Wiedergutmachung z.B. der Familie Fürstenberg (5).
Wiedergutmachung ohne wenn und aber
Der erste Wiedergutmachungsvorgang (6) betrifft den Kauf einer Immobilie (Wohnhaus) in der Steinmetzstraße 6, von einem jüdischen Besitzer, Karl Rosenthal, durch Arno Türklitz am 30. März 1940; Karl Rosenthal war kurze Zeit später, am 22. Oktober 1940, verstorben. Die Erben des Karl Rosenthal, seine Ehefrau und seine Tochter, stellten am 24. Dezember 1949 bzw. am 16. Januar 1950 einen Wiedergutmachungsantrag gemäß dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz) (USEG) von 1949. Die Eintragungen in das Grundbuch (einschließlich der Hypotheken) waren 1943 auf Arno Türklitz übertragen worden. Das Gesetz zur Wiedergutmachung sah eine Entschädigung der ursprünglichen Eigner und/oder deren Erben vor, wenn der Verkauf unter Zwang erfolgte, wenn der Kaufpreis nicht dem tatsächlichen Wert der Immobilie zum Zeitpunkt des Verkaufs entsprach oder wenn die Verkäufer den Kaufpreis nicht zur Verfügung bekommen hatten – allein das Zutreffen einer der drei Bedingungen machte den Kaufvertrag ungültig und begründete einen Erstattungsanspruch.
Am 13. Juni 1950, wenige Tage nachdem der Anspruch gerichtlich geltend gemacht worden war, legte Arno Türklitz dagegen Widerspruch ein, um den Anspruch zu prüfen, aber bereits im Juli 1950 bat er die Antragsteller um einen Vergleichsvorschlag und am 16. November 1950 wurde dieser vom Gericht bestätigt. Im Grundbuch war das Haus „vor 1933“ mit einem Wert von ca. 100.000 Goldmark (nach der Währungsreform von 1923) belegt worden, der Einheitswert betrug zum Zeitpunkt der Entschädigung laut Gerichtsurteil 98.000 DM. Daher zahlte Arno Türklitz den Erben 40.000 DM in bar und ließ die Erben mit einer Hypothek von 50.000 DM im Grundbuch eintragen.
Der zweite Wiedergutmachungsfall lag etwas komplizierter (7). Hier ging es um eine Immobilie der Gewerkschaft Deutscher Eisenbahner e.V. in der Genthiner Str. 31 (jetzt Nr. 41, wo der Haupteingang zum Möbelgeschäft heute ist), das diese 1931 übernommen hatte. Da die Gewerkschaft Deutscher Eisenbahner e.V. nach ihrer Auflösung durch die Nationalsozialisten 1933 – wie alle anderen Gewerkschaften – sich nach dem Krieg neu organisiert hatte, stellte die Nachfolgeorganisation, die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands e.V. (GdED), den Wiedergutmachungsantrag. Im ersten Teil des Streits ging es daher um die Frage, ob die GdED überhaupt einen solchen Antrag stellen durfte – dies wurde gerichtlich bestätigt.
Hier war jedoch kein direkter Verkauf der Immobilie an Hübner/Türklitz erfolgt, sondern das gesamte Vermögen der Gewerkschaft war nach 1933 beschlagnahmt und dem Reichsfiskus einverleibt worden – die verschiedenen Gewerkschaften wurden kollektiv durch die Deutsche Arbeitsfront (DAF) ersetzt. Erst 1938 kam die Immobilie zum Verkauf und Arno Türklitz kaufte sie von der DAF-Vermögensverwaltung am 15. Februar 1939 für 115.000 RM (80.000 RM in bar und Übernahme einer Grundschuld von 35.00 RM; dies entsprach ungefähr dem Einheitswert 1935), ohne von der Vorgeschichte und Provenienz des Hauses Kenntnis gehabt zu haben, wie im Verfahren betont wurde (7). Die zweite Frage, die das Gericht klären musste – es gab dazu ausführliche gutachterliche Stellungnahmen beider Seiten – war daher, ob die Nachfolgeorganisation, GdED, einen Anspruch auf das entzogene Vermögen habe. Nachdem sie klargestellt hatte, dass dieses Vermögen der Sicherung der Renten der GdED-Mitglieder auch nach dem Krieg diente, somit die Anspruchsteller vom Verkauf der Immobilie keinerlei Nutzen hatten, sondern nachhaltigen Schaden (und damit einer der drei oben zitierten Bedingungen erfüllt war), wurde auch dies durch das Gericht als rechtmäßiger Anspruch auf Entschädigung bestätigt.
Wie im ersten Wiedergutmachungsverfahren kam es auch hier zu einem schnellen Vergleich, in dem Hübner/Türklitz an die GdED einen Betrag von 40.000 DM bezahlt mit einem langfristigen Zahlungsziel (10 Jahre), alternativ bei Barzahlung 30.000 DM. Dieser Vergleich wurde ebenfalls gerichtlich bestätigt, die Kosten des Verfahrens übernahm in beiden Fällen der Firma Hübner.
Weitere Aspekte, die wir in Archiven nachvollziehen konnten, betreffen den Verbleib des Türklitz´schen Immobilien- und Gewerbebesitzes in Brandenburg (Havel) während der sowjetischen Besatzung nach 1945 und die Enteignung durch die DDR 1949. Ein anderer Aspekt geht unmittelbar aus diesen hervor: Der Generationenwechsel von Emil Türklitz auf Arno Türklitz, der keineswegs reibungslos verlaufen ist, wie das obige Zitat vielleicht vermuten ließe. Aber diese Geschichten würden den Rahmen hier sprengen und bleiben einer späteren Veröffentlichung vorbehalten.
Literatur
- A. Ackermann. Geschichte der Juden in Brandenburg a. H. Verlag von Louis Lamm, Berlin 1906. Siehe dort Anmerkung 51 (Seite 60f): die Juden wurden 1573 „auf ewige Zeiten“ verbannt, aber bereits 1650 wurde ihnen wieder erlaubt, Jahrmärkte in den Städten zu besuchen.
- Möbel Hübner in der Genthiner Straße. Firmenbroschüre, Eigendruck ohne Datum.
- Die Welt vom 14. April 1963 (Artikel von G.Wegner: Jetzt Grundstein für das erste Möbelhochhaus)
- Arno Türklitz: Möbel Hübner 1945 – 1967. Geschichten und Geschichte. Vortrag anlässlich der Eröffnung des Möbelhauses (Hochhaus) 1967. Broschüre, Eigendruck o.J. Im Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv 3/35254 (Zitat Seite 4).
- https://www.mittendran.de/die-familie-fuerstenberg-teil-2/
- Landesarchiv Berlin, Akte B Rep. 025-01 Nr. 1108/50
- Landesarchiv Berlin, Akte B Rep. 025-02 Nr. 4476/50