Gute Erziehung kommt nicht von ungefähr

An der Marie-Elisabeth-Lüders-Schule (MELO) lernt man für die eigene und die Berliner Zukunft

An Morgen einer der ersten heißen Junitage betritt Frau Funk-Horn, Schulleiterin der MELO, wie die Marie-Elisabeth-Lüders-Schule an der Kurfürsten-, Ecke Steinmetzstraße von allen hier genannt wird, ihr noch kühles Büro. Dem Besucher wird indes aus dem Sekretariat schon unaufgefordert ein Glas Wasser gereicht. Man merkt sofort: Es wird willkommen geheißen, wer und aus welchen Gründen sich auch immer hier aufhält. Ob der DHL-Bote mit einem schweren Paket, die Schülerin mit einer Frage nach dem Stundenplan oder eben der Besucher von mitteNdran, dem Frau Funk-Horn bereitwillig Rede und Antwort steht auf die Fragen nach ihrer Schule, die sie seit 2017 leitet. Und schon startet man, an ihrer Seite, auf eine Rundtour durch das ehrwürdige Gebäude, das als einer der ältesten Schöneberger Schulbauten 1871-72 unter dem Stadtbauinspektor Arnold Hanel errichtet wurde.

Marie-Elisabeth-Lüders-Schule, MELO, Sozialarbeit

Gut zu erkennen ist der gesamte Gebäudekomplex: Eckgebäude von 1878, Verbinder von 1929 Gut zu erkennen ist der gesamte Gebäudekomplex: Eckgebäude von 1878, Verbinder von 1929 und (hinten) ehemalige 99. Gemeindeschule von 1899 Foto MTB

Vom Erdgeschoss, durch die gusseisernen Säulen, die hier das Treppenhaus stützen, der Bauart nach den Säulen der nicht weit entfernten Yorckbrücken ähnelnd, geht es hinauf über die erste, zweite und dritte Etage, bis zu einer ausladenden Dachterrasse, von der aus man einen tollen Rundblick über den angrenzenden Kiez bis hinüber zum Schöneberger Gasometer. genießen kann. Die Terrasse ist nur ein bauliches Highlight der Schule. Sie bedeckt das gesamte Gebäudeflachdach parallel zur Steinmetzstraße, und ist gegen diese mit einem Drahtnetz gesichert, sodass auch Ballspiele möglich sind.  Frau Funk-Horn deutet auf einige runde Tische und Stühle, die von der Feierstunde zur am Vortag überreichten Senatsplakette „Schule mit Courage – Schule ohne Rassismus“ übrig sind. Die Übergabe der Plakette fand zwar in der ehrwürdigen Aula statt, deren hohe Bogenfenster hinaus in den grünen Innenhof zeigen, dann jedoch ging man hinauf, um auf dieser Terrasse in angemessenem Rahmen zu feiern: Dank der zwei großen und modern ausgestatteten Lehrküchen haben Schüler:innen der MELO das Catering selbst übernommen, haben opulente Platten mit Köstlichkeiten aus verschiedenen Küchen dieser Welt zubereitet und die alkoholfreien Cocktails gleich mit dazu. Alle Schüler:innen der MELO haben an dieser Verleihung Anteil, betont die Schulleiterin. Sie haben sich lange auf die Vergabekriterien vorbereitet, haben sich in Projektgruppen mit Themen wie rassistische Kommunikationsmuster, Prävention gegen gesellschaftliche Ausgrenzung im Schulkontext oder dem Umgang mit Heterogenität beschäftigt. Tatsächlich ist die Plakette die verdiente bildungspolitische Anerkennung eines zutiefst demokratischen und partizipativen Schullebens:

An der MELO, einer beruflichen Schule im Bildungsfeld Sozialwesen, werden über 700 junge Menschen – mit Ausnahme des Abiturs – innerhalb einer einjährigen Integrierten Berufsausbildungsvorbereitung (IBA) an die Schulabschlüsse der einfachen und erweiterten Berufbildungsreife (BBR, eBBR) sowie des MSA – des Mittleren Schulabschlusses –  herangeführt. Diese Abschlüsse werden an der MELO auch durch den Deutschen Qualitätsrahmen (DQR) zertifiziert und garantieren so eine Vergleichbarkeit der hier erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen mit den Bildungsstandards aller anderen Bundesländer. Die Jugendberufsagentur findet, gemeinsam mit der im Hause befindlichen Bildungsbegleitung, maßgeschneiderte Ausbildungsangebote für zukünftige Erzieher:innen und Sozialassistent:innen. Wer sich für die MELO entscheidet, kann innerhalb der Berufsbildungsvorbereitung zwei halbjährige Praxisphasen im sozialen Bereich, etwa in Kitas oder freien und öffentlichen Trägern der Jugendarbeit absolvieren, dies neben dem ganz normalen schulischen Alltag an der MELO, versteht sich. Möglich ist in zwei weiteren Jahren die Ausbildung in fünf beruflichen Lernfeldern.  Neben den Schulfächern Deutsch, Mathe, Englisch, Sport und Wirtschaft- und Sozialwissenschaften kann hier der Abschluss als Sozialassistent:in erworben werden, der in Verbindung mit dem Mittleren Schulabschluss eine direkte Anschlussmöglichkeit an die Erzieher:innenausbildung in entsprechenden Einrichtungen wie Oberstufenzentren oder Berufsfachschulen bietet. Der Abschluss als Sozialassistent:in gilt – dank des erwähnten Qualitätsrahmens – deutschlandweit.

Der älteste Teil der Schule an der Kurfürsten-, Ecke Steinmetzstraße Foto MTB

Auf unserem Rundgang durch das Haus begegnen wir immer wieder Gruppen von Schüler:innen, die, bei geöffneten Türen, in ihren je nach Lernfeldern ausgestatteten Klassenräumen an Unterrichtsinhalten arbeiten. Lehrerinnen und Lehrer laufen mit Materialien umher, begrüßen einander und tauschen sich über das Geschehen in ihren Lerngruppen aus. Ein junger Mann berichtet der Schulleiterin von seinen gerade hinter ihm liegenden Auslandspraktika an Kitas in Irland und Ungarn. Die Unterschiede in der vorschulischen Erziehung zwischen Deutschland und diesen beiden Ländern seien erstaunlich groß, räumt er ein. Währenddessen ordnen seine Mitschüler:innen gerade einen großen, lichtdurchfluteten Raum, der einem Kita-Gruppenraum nachempfunden ist; Kinderstühle, Vorschul-Lernutensilien, Spiele und Sitzkissen müssen nach der Unterrichtsstunde wieder an ihre Plätze zurückgebracht werden. Für angehende Kita-Erzieher:innen lautet einer der beruflichen Grundsätze: Erziehung kommt nicht von ungefähr. Sie entsteht natürlich aus einem Grundbedürfnis, Kinder oder Jugendliche in deren Persönlichkeitsentwicklung durch Zuwendung und Empathie  zu begleiten, aber eben auch durch die Anwendung von Prinzipien des sozialen Miteinanders, des gegenseitigen Helfens, des Vormachens und Nachahmens und eben auch des Aufräumens.

Und weiter geht es: Vorbei an hellen und mit Smartboards ausgestatteten Unterrichtsräumen, an Lehrwerkstätten etwa für Holzbearbeitung und einer von Schüler:innen selbstverwalteten Bibliothek, durchqueren wir einen 1929-1935 errichteten Zwischenbau, der im Stile der Neuen Sachlichkeit architektonisch äußerst geschickt das Eckgebäude von 1878 an der Kurfürstenstraße mit dem Gebäude der 1899 in der Steinmetzstraße errichteten, damaligen 99. Gemeindeschule verbindet. Anlässlich dieses Umbaus setzte man auf die beiden Wilhelminischen Klinkerbauten noch eine zusätzliche Etage, sodass sich die Höhe der Schulgebäude den sich anschließenden Bürgerhäusern beider Straßen anpasste. Diese Aufstockung ist am obersten Geschoss des Gebäudes an der Kurfürsten- Ecke Steinmetzstraße, dem ältesten Teil also, noch gut sichtbar: Die Klinker sind dort oben, in der 4. Etage, heller als die der darunter liegenden Stockwerke. Aus der Zeit um 1880 stammt auch die in den Innenhof der MELO ragende damalige Turn- und heutigen Maßstäben entsprechende Sporthalle. Von hier aus, dem Teil der ehemaligen Gemeindeschule, betreten wir den von ausgewachsenen Laubbäumen beschatteten Innenhof:

Dieses großflächige grüne Refugium hat nichts mit einem herkömmlichen Schulhof gemein: Zwischen Rasenflächen schlängeln sich Kieswege bis ans hintere Ende des in Richtung Bülowstraße sich erstreckenden Areals, wo sich die Schüler:innen, aber auch das Lehrpersonal in den Pausen erholen können. Es handelt sich tatsächlich eher um eine kleine, eingehegte Parkanlage als um einen typischen Berliner Innenhof mit Baumbestand. Hier stehen Bänke  zum Verweilen, sind verschiedene Ziersträucher gepflanzt.  Vor einiger Zeit hatte man hier auch ein Bienenhotel aufgestellt. Dieses allerdings wurde aufgrund der Vielzahl einfliegender Brummer zu einer Gefährdung für die hier Versammelten, sodass man das Projekt schweren Herzens wieder aufgab.

Altes Warnschild (Vorkrieg) für die Eltern der Gemeindeschule Foto MTB

Nach den Stärken ihrer Schule gefragt, weiß Frau Funk-Horn sofort eine Antwort: Die digitale Ausstattung der gesamten Schule mit modernen Computersystemen, den Smartboards und den damit verbundenen Kommunikationsmöglichkeiten mit allen Schulbeteiligten. Und eben die dynamische Schulentwicklung auf der Basis einer gelebten Partizipation zwischen Lehrkräften, Schüler:innen und externen Partnern. Und da ist noch etwas, das die Schulleiterin nicht nennt, dem Besucher aber seit dem Eintreten in dieses Gebäude überaus angenehm auffällt: Hier wird viel gelacht. Miteinander, ja, auch übereinander. Im angenehmen Sinne. Darum heißt MELO auch: Menschlichkeit, Engagement, Lebensfreude und Optimismus. Dies bestätigt auch ein junger Lehrer, den wir in der Bibliothek treffen und der sich – obwohl eigentlich Österreicher – sehr mit Tiergarten und Schöneberg identifiziert. Er weiß Interessantes über die Schule zu berichten. Zum Beispiel, dass es sich bis zum Krieg um die Viktoria-Fachschule für Frauen handelte, wo ab dem Kaiserreich zunächst Hauswirtschaft und seit den 20er Jahren auch Mode- und Bekleidungstechnik gelehrt wurde. Im Jahre 1978 dann erfolgte die Grund- Restaurierung der Schule mitsamt der Neuausstattung der Aula.

Der geschichtsbewanderte Lehrer, Herr Haase, begleitet mich schließlich nach einer herzlichen Verabschiedung von Frau Funk-Horn zur Tür, deutet hinunter auf die Einmündung der Steinmetzstrasse in die Bülowstrasse und meint dann: „Wissen Sie zum Beispiel, dass sich dort im Jahre 1919 auch eine Barrikade der Spartakisten befand?“ Nein, das ist zugegebenermaßen etwas Neues und verdient weitere Recherchen.

Als der Besuch an der MELO nach einer guten Stunde beendet ist und die Sonne schon hoch über der Potsdamer Straße steht, erstrahlt das Schulgebäude in einem besonders warmen Rotbraun. Selbst der ehrwürdige Bau verabschiedet sich in seinem vorteilhaftesten Licht.

Marc-Thomas Bock

 

 

Redaktion

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