ein Beitrag von Bethan Griffiths zu:Jüdische Gewerbebetriebe rund um die Potsdamer Straße
Herrmann Heymann starb einen Tag vor dem 30. Geburtstag seines Sohnes, Theodor Heymann. Der junge Mann wurde nun Alleininhaber der „Hermann Heymann Hutfabrik“ in der Potsdamer Str. 61. Dieses etablierte Herrenartikelgeschäft war bereits im Jahr 1892 gegründet worden und wurde seit 1908 im Berliner Handelsregister unter der Nr. A 31717 verzeichnet.
Den ersten Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten seitens des Hut- und Herrenartikelgeschäfts finden sich in den Handelsregisterakten in einem Brief von der Industrie- und Handelskammer am 7.3.1938 an das Amtsgericht: Das Unternehmen sei zwar noch vollkaufmännisch tätig, aber es betreibe lediglich Einzelhandel mit Herrenartikeln und die Hutfabrikation sei eingestellt worden.[1] Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Firma wegen der Umnummerierung der Potsdamer Str. in der Nr. 146. Es ist anzunehmen, dass die antisemitischen Maßnahmen eine große Rolle in der Verkleinerung des Betriebes gespielt hatten. Nur wenige Monate später erreichte die antisemitische Gewalt mit den deutschlandweiten Novemberpogromen einen bis dahin nicht gekannten Höhepunkt, der das Ende des Hutgeschäfts bedeutete, das fast ein halbes Jahrhundert lang existiert hat.
„Die Schaufenster müssen unverzüglich ersetzt werden spätestens bis 28. November“ – so schrieb nach dem Novemberpogrom Zwangsverwalter des Hauses Carl A. Schmidt am 22. November 1938.[2] Schmidt schrieb jedoch nicht an Heymann über die Notwendigkeit, die zerstörten Fenster zu ersetzen, sondern an Heinrich Barchen, der in der Zerstörung jüdischer Geschäfte und der Gewalt gegen die jüdischen Inhaber eine Chance für sich sah. Wenige Tagen nach dem Pogrom kam Barchen in das zertrümmerte Geschäft, um zu sehen, ob er es übernehmen und von dort sein Uniformgeschäft für nationalsozialistische Organisationen weiter betreiben konnte.[3] Er entschied, die Geschäftsräume zu nehmen und am 3. Dezember wurde der Laden eröffnet, diesmal mit Waren, die für genau die Leute bestimmt waren, die die Fensterscheiben eingeschlagen hatten. Theodor Heymann sah fast nichts von der finanziellen Transaktion, die ihn seines Geschäfts beraubte. Im Schreiben des Hauseigentümers Schmidt an Barchen wurde mitgeteilt: „Aus dem Kaufpreis soll die rückständige Miete bis einschließlich November ausgeglichen sowie der Ersatz der Schaufensterscheiben beglichen werden.“[4] Jedoch schrieb Heymanns Rechtsanwalt in der Wiedergutmachungssache im Jahr 1950, dass das Schaufenster doch nicht von Barchen sondern von der Jüdischen Gemeinde Berlins bezahlt wurde. Barchen bezahlte 3500 RM für einen Teil des Warenlagers und 1500 RM für die Einrichtung, aber Heymann „ging hinaus ohne einen Pfennig“, so Heymanns Rechtsanwalt.[5] Theodor Heymann gab nach dem Krieg an, dass die zu wenig bezahlte Summe 18.000 RM betrage.[6]
Am 24. März 1939 wurde das Geschäft Theodor Heymanns im Handelsregister gelöscht. Zu diesem Zeitpunkt wohnte der Kaufmann noch in der Potsdamer Str. 147, obwohl Heymann gezwungen wurde, seine Privatwohnung ab Dezember 1938 aufzugeben.[7] Wenige Monate später emigrierte Heymann erst nach Shanghai und später in die USA.[8] Während dieser Zeit stieg der Umsatz des Uniformgeschäfts in der Potsdamer Str. von 48.000 auf 62.000 RM. Trotzdem behauptete Barchens Rechtsanwalt nach dem Krieg, dass der Kaufmann aus der politischen Entwicklung im NS keinerlei persönliche Vorteile gezogen hatte. Bizarrerweise war Barchens Hauptverteidigung in der Wiedergutmachungssache, seine Nazi-Verbindungen nicht zu verschleiern, sondern zu betonen.[9] Als Antwort auf die Anklage, dass Barchen nichts für den „good will“ des seit 46 Jahren bestehenden Geschäfts bezahlt hatte, erwiderte Barchens Beauftragter:
„Die bisherige Geschäftsaufschrift Hüte und Mützen mit einem grünen Hut auf einem Transparent als Branchenzeichen wurde überstrichen. Statt dessen bekam das Geschäft das Aeussere eines Braunen Ladens und die Aufschrift hiess fortan NS Bedarf. Lediglich auf dem Teilgebiet von Herrenwäsche und Herrenunterkleidung waren beide Geschäfte miteinander verwandt. Aber es liegt auf der Hand, dass der Charakter beider Geschäfte ein grundsätzlich anderer war. So waren z.B. bunte Oberhemden und bunte Krawatten in einem Braunen Laden nur ausgesprochene Nebenartikel. Insbesondere kann nicht davon die Rede sein, dass der „good will“ des Geschäfts des Antragstellers von dem Antragsgegner übernommen worden wäre.“[10]
Des Weiteren schrieb er, dass ein Kundenkreis, der bis 1938 in einem jüdischen Geschäft gekauft hatte, das Geschäft des Antragsgegners nie besuchen würde. Auf diese Weise versuchte Barchen, seinen Anteil an der antisemitischen Diskriminierung und Gewalt, mit der Heymann konfrontiert war, durch seine Verbindung zu der NSDAP zu verschleiern.
Diese Verteidigung war weitgehend erfolgreich, da im September 1952 die Wiedergutmachungskammer des Landgerichts beschloss, dass Barchen nur 3.485 DM zu zahlen hatte. Barchens Geschäft wurde nach dem Krieg als normales Herrenartikelgeschäft weitergeführt und ist noch im Berliner Adressbuch von 1954 zu finden.[11]
Theodor Heymann lebte nach dem Krieg in Cincinnati, Ohio. Seine zwei Schwestern konnten nicht entkommen. Sie wurden mit ihren Familien in Kowno und Auschwitz ermordet.[12]
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Quellen:
[1] Brief vom IHK an das Amtsgericht Berlin, 7.3.1938, LAB A Rep. 342-02, 35400.
[2] Brief von Carl Schmidt an Heinrich Barchen, 22.11.1938, LAB, B Rep. 025- 01, 176/49.
[3] Brief von Rechtsanwalt Erich Meyer an das Wiedergutmachungsamt, 19.1.1951, LAB B Rep. 025- 01, 176/49.
[4] Brief von Carl Schmidt an Heinrich Barchen, 22.11.1938, LAB B Rep. 025- 01, 176/49.
[5] Brief von Rechtsanwalt Leidert an das Wiedergutmachungsamt Berlin, 27.6.1950, LAB B Rep. 025- 01, 176/49.
[6] Ebenda.
[7] Brief von Bücherrevisor Hans Stephan an Heinrich Barchen, 23.11.1938: „Herr Heymann ist dagegen verpflichtet, spätestens am 3.Dezember 1938 seine Privatwohnung in den Räumen aufzugeben.“, LAB, B Rep. 025-01, 176/49.
[8] Ancestry.com. Kalifornien, USA, Listen ankommender Passagiere und Mannschaften, 1882-1959 [database on-line]. Provo, UT, USA: Ancestry.com Operations Inc, 2008.
[9] Das Barchen ein Parteimitglied war, behauptet Heymanns Rechtsanwalt in einem Brief vom 27.6.1950, LAB B Rep. 025-01, 176/49.
[10] Brief von Rechtsanwalt Hans Würzburg an den Magistrat für Berlin, Wiedergutmachungsamt, 16.9.1950, LAB, B Rep. 025-01, 176/49.
[11] BAB 1954, III Teil, S. 211.
[12] The Central Database of Shoah Victims’ Names, Yad Vashem – the World Holocaust Remembrance Center, https://yvng.yadvashem.org/, (27.10.22)
Die Arbeit von Bethan Griffiths wurde im Rahmen der Initiative Jüdisches Leben und Widerstand gefördert durch: