Das Haus mit der Apotheke an der Ecke Wichmannstraße/Schillstraße hatten wir neulich gezeigt (mittendran vom 26. Januar 2025), (Bild 1) heute wollen wir die Familien- und Lebensgeschichte der jüdischen Apothekerfamilie Lewy nachzeichnen, die die Apotheke von 1904 bis 1938 betrieb, bevor der letzte Inhaber, Dr. Curt Lewy, aus Deutschland vertrieben wurde.

Bild 1: Die Lützow-Apotheke an der südlichen Ecke Schillstraße 7/Wichmannstraße 28. (Foto aus dem Landesarchiv Berlin, Fotograf unbekannt, um 1930 , F Rep. 290 (01) Nr. 0268831).
Familienherkunft
Die Lewys waren eine Berliner Familie, zumindest die vier Generationen, die wir mit konventionellen genealogischen Mitteln (Ancestry, Geni) übersehen können. Der Urgroßvater von Curt Lewy war Aron Israel Lewy, ein Berliner Lotterie-Untereinehmer und Handelsmann. Er war am 6. November 1782 in Pinne (polnisch: Pniewy) im Herzogtum Warschau geboren worden; Pinne gehörte seit der dritten Teilung Polens (1795) zu Preußen. Sein Vater Israel Aron Levy war dort „Schutzjude“ gewesen, d.h. er hatte ein offizielles Aufenthaltsrecht, und dort war er auch verstorben (1). Sein Sohn kam etwa 1798, mit 16 Jahren, nach Berlin. In der Liste der jüdischen Nachnamen von 1814 (2) ist er als Handlungsdiener Aron Israel Levy gelistet und wohnte in der Jüdenstraße 40. Das Bürgerrecht erhielt er am 8. März 1815. Er heiratete am 10. Dezember des gleichen Jahres Betty, die Tochter des Handelsmannes Moses Feiwisch aus Chodziesen (polnisch: Codziez; ab 1878 Colmar in Posen). Ihr vermutlich einziges Kind, ein Sohn, Israel Aron Lewy, wurde am 22. November 1816 in Berlin geboren wurde. Der Vater starb am 24. März 1853 (1).
Israel Aron Lewy hatte eine Ausbildung zum Goldarbeiter (Goldschmied-Gehilfe) gemacht, als er am 21. Juni 1838 das Bürgerrecht bekam. Er war Mitglied der Gehilfenkasse des Goldschmiedeamts und wohnte in der Friedrichstraße 73. Er heiratete am 25. August 1840 Johanna Bendix, die Tochter des Jacob Bendix, Schächter und Gemeindeschreiber der jüdischen Gemeinde Berlin. In der Liste der Nachnamen jüdischer Bürger in Preußen von 1814 ist er als Handelsmann gelistet (1). Aus dieser Ehe entstammten die Kinder Moritz (* 20. Juli 1841), Therese (* 14. Februar 1843), Gustav (* 9. Oktober 1844) und Abraham Adolf Lewy (* 1855). Ihr Vater machte sich derweil als Kunsthändler und Antiquar in Berlin einen Namen und durfte sich Hof-Antiquar nennen, weil Angehörige des Königshauses gelegentlich bei ihm vorbeischauten, und er erhielt aus diesem Grunde 1879 einen Orden (Bild 2).

Bild 2: Ordensverleihung für Aron Israel Lewy (Aachener Zeitung vom 9.3.1879).
Moritz und Therese verstarben früh, Gustav Lewy führte das Antiquariat seines Vaters weiter und erwarb dadurch internationales Ansehen, starb aber bereits 1900 im Alter von nur 55 Jahren. Abraham Adolf Lewy studierte Medizin und brachte es bis zum Sanitätsrat. Israel Aron Lewys Frau Johanna starb 1860 in Berlin. Drei Jahre später heiratete Israel Aron Lewy in zweiter Ehe am 27. Juli 1863 in Berlin die aus Fraustadt, Provinz Posen (heute: Wschowa, Polen) stammende Charlotte London, geboren am 7. Mai 1837. Dieser Ehe entstammten vier weitere Kinder: Betty, geboren am 27. Dezember 1864, Salomon, geboren 1865, der am 27. Mai 1867 geborene Albert Lewy, und Max Lewy, am 8. März 1869 zur Welt kam.
Betty heiratete 1887 einen Sigmund Zöllner und hatte mit ihm drei Kinder. Über Salomon (* 1865) wissen wir bislang nichts, außer dass er bereits 1912 nicht mehr am Leben war. Max wurde Porträtmaler und Bildhauer, heiratete 1903 eine Maria Schädler (1867-1940) und verstarb 1942 an Kreislaufversagen und Schlaganfall. Albert Lewy wurde Apotheker; ihn werden wir weiter begleiten. Der Vater Israel Aron Lewy verstarb 1894 in Berlin, und seine Frau verstarb am 21. April 1912 „nach kurzem, schwerem Leiden„.
Albert Lewy´s Apotheker-Ausbildung
Albert Lewy macht im Herbst 1886 das Abitur am Dorotheenstädtischen Realgymnasium in der Georgenstraße (Bild 3). Die Prüfung fand am 9. September 1886 statt, aber Albert wurde von ihr aufgrund seiner Leistungen entbunden. Dann studierte er Chemie an der Friedrich-Wilhelms-Universität (FWU) in Berlin: Immatrikulation war am 23. Oktober 1886, Exmatrikulation am 14. Dezember 1888 unter der Matrikel-Nummer 509 im 77. Rektorat (4). Daran schloss sich eine – vermutlich einjährige – Militärzeit sowie eine praktische Tätigkeit in einer oder mehrerer Apotheken. Nach deren Ende im Oktober 1893 arbeitete er, ausweislich des Lebenslaufs in seiner Dissertation, für kurze Zeit am 1. Chemischen Institut der FWU unter der Leitung von Prof. Dr. Emil Fischer, der 1902 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Allerdings blieb er offenbar ohne einen Arbeitsvertrag, was durchaus üblich war; im Personalverzeichnis ist er jedenfalls nicht gelistet. Ostern 1895 legte er die pharmazeutische Staatsprüfung ab und erhielt am 15. Juni 1895 die Approbation zum Apotheker; da war er bereits in Erlangen. Zum Sommersemester 1895 wechselte er nämlich, wohl auf Empfehlung von Professor Fischer, zu dessen Vetter, dem Chemiker Prof. Otto Fischer, an die Universität Erlangen. Immatrikuliert hatte sich Albert Lewy an der Universität Erlangen am 1. Mai 1895 als Student der Chemie, wohnhaft in Erlangen, Heuwaagstraße 14. Nach drei weiteren Semestern des Studiums der Chemie promovierte er am 22. Juli 1896 zum Doktor der Philosophie. Der Titel seiner Doktor-Arbeit lautet: „Beitrag zur Kenntnis substituierter Ortho-Diamine“ und behandelt spezielle chemische Verbindungen, die später in der Kunststoff-Herstellung von Wichtigkeit wurden – noch waren diese nicht erfunden.

Bild 3: Das Dorotheenstädtische Realgymnasium (oben) (Zeitschrift für Bauwesen 1878) und deren Abiturienten des Jahres 1886 (Schulbericht des Jahres 1886, Auszug)
Im Jahr 1897 muss er nach Berlin gekommen sein, im Adressbuch von 1898 arbeitete der Apotheker Dr. Albert Lewy in der Königlich Privilegierten Löwen-Apotheke des Dr. J. Lewinsohn in der Lindenstraße 61, die ein Jahr zuvor noch in der Jerusalemstraße 30 residierte (Bild 4). Albert Lewy übernahm die Löwen-Apotheke im Jahr 1898. Und im gleichen Jahr im Dezember heiratete er in Gartz (Oder) Margareta Rosendorff (1877-1939), Tochter von Gustav Rosendorf aus Gartz und Nanny Rosendorf geborene Müllerheim aus Stolp (Hinterpommern) (Bild 5). Sechs Jahre später, zum 1. Oktober 1904, erwarb er die Lützow-Apotheke an der Wichmannstraße 28 vom Apotheker Dr. Ernst Kuhlmann.

Bild 4: Adressebuch-Eintrag für Apotheker Lewinsohn im Jahr 1897 (oben) und Anzeige der Übernahme der Apotheke durch Apotheker Lewy 1898 (Deutscher Reichsanzeiger vom 11.01.1898).

Bild 5: Verlobungs- (Berliner Börsen Curier vom 28.6.1898) und Heiratsmeldung (Berliner Tagblatt vom 3.12.1898).
Margarethe und Albert Lewy hatten zwei Kinder: den am 1. August 1899 geborenen Curt Lewy, der später die Apotheke seines Vaters übernehmen sollte (s. unten), und die am 1. November 1906 geborene Stephanie, die nicht einmal 8 Jahre später, am 5. Februar 1914, in Berlin verstarb (Bild 6).

Bild 6: Geburtsmeldung (Berliner Börsen Zeitung vom 14.1.1906) und Todesanzeige (Berliner Tagblatt vom 7.12.1914).
Die Lützow-Apotheke
Die Einrichtung einer neuen Apotheke „am Lützow-Platze an der Ecke der Schill- und Wichmannstraße“ wurde vom Ober-Präsidenten der Provinz Brandenburg mit Erlass vom 1. November 1886 bewilligt – zu diesem Zeitpunkt gab es in Berlin 89 Apotheken. Die Ausschreibung der Stelle des Leiters der Apotheke (sowie drei weiterer, zeitgleich bewilligter Apotheken) erfolgte am 16. November diesen Jahres. Ein Bewerber um die Stelle musste versichern, „daß er eine Apotheke bisher nicht besessen hat, oder sofern dies der Fall sein sollte, die Genehmigung des Herrn Ministers … zur abermaligen Bewerbung … vorzulegen“ (3). Damit sollte verhindert werden, dass Apotheken zur reinen Kapitalanlage wurden, wie es in der sogenannten „Gründerzeit“ (ab 1871) oftmals der Fall war (4). Am 5. Juni 1887 teilte der Polizeipräsident Freiherr von Richthofen mit, dass die Leitung der Lützow-Apotheke der Corps-Stabsapotheker Guido Steuer (1842-1896) aus Cassel (heute: Kassel) erhalten solle (Bild 7), der noch eine klassische Apotheker-Ausbildung hatte: 3,5 Jahre Lehrzeit in verschiedenen Apotheken, dann „Service-Zeit“, am Ende Provisor (erster Gehilfe), dazu noch einige Zeit als Student an einer Universität im Fach Pharmazie, um „Apotheker 1. Ordnung“ zu werden und sich in einer größeren Stadt niederlassen zu können (5); außerdem hatte er im deutsch-österreichischen Krieg 1866 im Feldlazarett gedient. Apotheker Steuer leitete die Apotheke bis zu seinem Tod 1896. Am 21. Februar 1898 kaufte der Apotheker Dr. Ernst Kuhlmann aus Geestemünde die Lützow-Apotheke von der Witwe Steuer. Er war zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt, hatte, anders als Apotheker Steuer, eine akademische Ausbildung absolviert und am 12. Dezember 1886 die Approbation erhalten. Aber bereits 6 Jahre später, 1904, kaufte Dr. Albert Lewy, der zu diesem Zeitpunkt 37 Jahre alt war, die Apotheke und die Apotheken-Lizenz. Jetzt gab es im Adressbuch von Berlin bereits 142 Apotheken (3).

Bild 7: Briefkopf des Apothekers G.Steuer mit seinem Konterfei (aus: (3)).
Literatur
- Jacob Jacobson: Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809-1851. Walter de Gruyter Verlag, Berlin 1962.
- 2 Amtsblatt der Königlichen Churmärkischen Regierung zu Potsdam. Beilage zum 40. Stück des Amtsblattes. Verzeichnis der in den Städten und auf dem platten Lande des churmärkischen Regierungsdepartements lebenden Juden … Potsdam 1814.
- Akten des Landesarchivs Berlin: A Pr. Br. Rep 030 Nr. 192 (Anlage neuer Apotheken) und A Rep. 32-08 Nr. 202 (Gesundheitsamt, Lützow-Apotheke).
- Akten des Archivs der Humboldt-Universität Berlin (Studentenliste der Philosophischen Fakultät, 77. Rektorat) und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen (UAE-C4, 3b Nr. 1991).
- Paul Enck: Die Apothekerfamilie Wendland. Eine mikrohistorische Studie aus dem Berliner Lützow-Viertel. In: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2023, S.11-26.