Gastbeitrag von Friederike Kapp
Seit über einem Jahr ist das südwestliche Emporenfenster der Zwölf-Apostel-Kirche mit Spanplatten ausgefüllt. Was hat es damit auf sich?
Als ehrenamtliche Gemeindekirchenrätin und Mitglied des Bauausschusses der Evangelischen Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde begleite und koordiniere ich das Projekt „Kirchenfenster“ seit 2014. Hier folgt ein Überblick:
Das Kirchenfenster wird komplett ersetzt. Finanziell möglich wird dies durch einen Zuschuss der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien bis 28.000 Euro sowie einem reservierten Zuschussrest aus dem vormaligen Kirchenkreis Schöneberg in Höhe von 20.830 Euro.
Bei den Glasfeldern, die innerhalb der Holzfüllung zu sehen sind, handelt es sich um verschiedene Probeverglasungen. Diese wurden von einem Glasermeister, der wirklich ein Meister seines Fachs ist und über besonders viel Erfahrung verfügt im Bereich alter Kirchen und Gebäude, nach einem künstlerischen Entwurf angefertigt, der zwischen verschiedenen Parteien abgestimmt war: der Unteren Denkmalschutzbehörde, dem Landesdenkmalschutz und der kirchlichen Bauaufsicht der Landeskirche.
Es haben bereits zwei Vor-Ort-Besichtigungen stattgefunden, zu denen die beteiligten Parteien, verstärkt um zwei Vertreter der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde als Bauherrin und die Baubetreuerin des Kirchenkreises Tempelhof-Schöneberg, verschiedene Probeverglasungen im eingebauten Zustand begutachtet und verglichen haben. Neue Probeverglasungen wurden angefertigt und ergänzt, mittlerweile fünf an der Zahl.
Eine dritte Ortsbesichtigung war für März 2020 vereinbart. Dann kam Corona, und es wurden alle Termine abgesagt. Auch im Dezember musste ein bereits geplanter Termin kurzfristig abgesagt werden.
Was die Fenster der Zwölf-Apostel-Kirche so besonders macht
Die Zwölf-Apostel-Kirche steht, wie viele andere Kirchen aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert, heute unter Denkmalschutz. Die Emporenfenster der Zwölf-Apostel-Kirche weisen jedoch eine Besonderheit auf, die wahrscheinlich einzigartig ist. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sämtliche Kirchenfenster zerstört. Die Glasbausteine der übrigen Emporenfenster – also alle außer dem oben beschriebenen – stammen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Es handelt sich um die großzügige Sachspende eines Spirituosenfabrikanten in Form von: Ginflaschen!
Damals hätte sich niemand träumen lassen, dass diese Fenster bis ins 21. Jahrhundert hinein Bestand haben würden. Tatsächlich sind auch Schäden eingetreten, da die verbauten Ginflaschen viel schwerer und breiter sind als normales Kirchenfensterglas. Die Flaschen waren auch viel zu breit für die vorhandenen Glashalteleisten aus dem 19. Jahrhundert, und so sackten die Emporenfenster schließlich vor einigen Jahren unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammen. Diese Begründung gilt mittlerweile als gesichert; damals (2014) war es nur eine These unter mehreren.
Das Fenster, das nun ersetzt werden soll, war am stärksten betroffen; eine Wiederherstellung war nicht möglich. Es ist auch das einzige Emporenfenster, dessen Verglasung nicht aus Ginflaschen bestand, sondern aus einfachen Glasbausteinen.
Warum das so lange gedauert hat
Im März 2014 trat umfangreicher Glasbruch ein; die Scherben lagen verstreut bis in die vorderen Sitzreihen der Empore. Die Gemeinde veranlasste das Verkleben des Fensters mit einer speziellen Folie, um weiteren Scherbenflug zu unterbinden.
Eine Glasbrennerei wurde mit der Nachbildung der Ginflaschen beauftragt. Es gelang jedoch nicht, den originalen Farbton zu treffen, mehrere Prototypen vermochten nicht zu überzeugen.
In den Jahren 2016 bis 2019 entstanden in der unmittelbaren Nachbarschaft der Zwölf-Apostel-Kirche Wohngebäude mit Tiefgaragen. Die erteilten Baugenehmigungen enthielten keine Auflagen zur Durchführung einer Beweissicherung der Zwölf-Apostel-Kirche. Da sowohl der Landesdenkmalschutz als auch die Baubetreuerin des Kirchenkreises Tempelhof-Schöneberg eine solche Beweissicherung dringend empfahlen, musste die Gemeinde diese selbst organisieren und finanzieren. Das Landesdenkmalamt wünschte darüber hinaus Schwingungsmessungen, die die Gemeinde jedoch nicht finanzieren konnte.
Die Bauherren des Carrés Voltaire unterstützten die Gemeinde dankenswerterweise durch ein Ingenieurbüro, das – abhängig vom Baufortschritt der Nachbarbebauung – Setzungsmessungen am Kirchengebäude durchführte. Die Bauherren des Wohnblocks Schoenegarten wollten diese Messungen jedoch nicht weiterführen. Die Gemeinde beauftragte daraufhin einen versierten Statiker, der auf der Empore fünf und im Kirchturm zwei weitere Rissmarken anbrachte.
Das hierfür nötige Innengerüst musste gemietet werden und wurde von hilfsbereiten Mitarbeitern der Kirchhöfe aufgestellt. Von Oktober 2017 bis Juli 2019 wurden die Rissmarken regelmäßig abgelesen und fotografisch dokumentiert. Zum Richtfest an der Genthiner Straße erhielt Pfarrer Bornemann dann nachträglich einen symbolischen Spendenscheck für die Gemeinde über 5.000 Euro. (vgl. „Zwölf Apostel“, GKR-Bericht, Heft 57, 61, 63, 71).
Die laufende Bautätigkeit in der Nachbarschaft ließ eine Überarbeitung der Emporenfenster wenig sinnvoll erscheinen, jedoch war die Lebensdauer der Notverklebung von 2014 erschöpft. Deshalb wurden im letzten Jahr die übrigen Emporenfenster saniert, dank des Geschicks des oben erwähnten Glasermeisters, dank der Tatsache, dass sich noch ein kleiner Rest der originalen Ginflaschen auftreiben ließ, und dank eines kräftigen finanziellen Zuschusses des damaligen Kirchenkreises Schöneberg. (Heutige kreiskirchliche Zuschüsse sind selten und fallen deutlich geringer aus.)
Warum das Fenster aus Einfach-Glasbausteinen, das jetzt neu aufgebaut werden soll, so viel stärker zerstört war als die übrigen Fenster, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich befindet es sich in einer baulich ungünstigen Position und wird durch gegenläufige Eigenbewegungen innerhalb des Gemäuers eingezwängt. Besonders auf der Westseite dehnt sich das Mauerwerk des Kirchenschiffs bei Hitze aus, wie ein Radiergummi, den man zusammendrückt. Auch die vorbeiführende U-Bahn könnte das Gebäude in Bewegung versetzen. Diese Bewegungen kann das Fenster in seiner bisherigen Konstruktion nicht mitmachen. Die besondere Aufgabe für den Glasermeister besteht also – neben allem anderen – darin, die Verglasung so zu befestigen, dass sie eine gewisse Beweglichkeit gegenüber dem Mauerwerk aufweist.
Während unserer „Offenen Kirche“ (samstags von 11 bis 15 Uhr und während Corona auch unter der Woche) kann man ein Muster der berühmten Ginflaschen besichtigen.