Kirchen- und Krankenhausgründungen sind immer auch eine Frage des Geldes: Sie kosten zwar Geld, aber sie bringen vor allem auch Geld ein. Als die Matthäi-Kirche im Tiergarten 1844 aus der Dreifaltigkeitskirchgemeinde an der Wallstraße ausgegliedert wurde (die Einwohnerschaft im Bezirk wuchs beständig), geschah dies unter Protest der Mutterkirche, deren Einnahmen damit schrumpften, weil die Pastoren, Prediger und die Kirche selbst für Dienstleistungen (Taufen, Konfirmationen, Trauungen, Beerdigungen etc.) bezahlt wurden. Das Spiel wiederholte sich, als aus der Matthäi-Kirche 1865 die Lukas-Kirchgemeinde in der Dernburger Straße ausgegliedert wurde und auf den Protest der Zwölf-Apostel-Gemeinde bei der Planung einer viel zu großen Kapelle des Elisabeth-Krankenhauses 1863 hatten wir schon hingewiesen (mittendran vom 19. Dezember 2022).
So wundert es nicht, dass nach der Gründung des Elisabeth-Krankenhauses 1837 durch den Frauen-Krankenverein des Johannes Evangelista Gossner der (böhmischen) Bethlehemsgemeinde (ebenfalls in der Wallstraße) die nahegelegene Dreifaltigkeitskirche über die Einrichtung eines „eigenen“ Armenvereins nachdachte, was schließlich in der Gründung des Bethesda Siechenhauses resultierte (Bild 1), das im Schöneberger Feld, also ebenfalls weit vor der Stadt, realisiert wurde. Erfahren haben wir dies eher zufällig, im oben bereits erwähnten Protestschreiben der Zwölf-Apostel-Gemeinde gegen den Kapellenbau des Elisabeth-Krankenhauses, in dem diese weitere konkurrierende Kapelle erwähnt wurde.
Wo lag das Siechenhaus Bethesda?
Als die Berlin-Potsdamer Eisenbahn ins Leben gerufen wurde (1837), durchtrennte die neue Bahnstrecke die Teltowerstraße, die früher einmal Mühlenweg hieß, und die vom Halleschen Tor bis zur Potsdamer Allee reichte, in zwei Teile. Obwohl anfänglich nur wenige Züge am Tag hin und her fuhren und gesicherte Bahnübergänge im heutigen Sinne, mit Schranken, Personenunterführungen und anderen Sicherungsmaßnahmen, erst nach dem großen Eisenbahnunglück vom 2. September 1883 in Steglitz (1) eingerichtet wurden, so entstanden doch auf dem diesseits der Bahnstrecke liegenden Teil mehr und mehr Wohnhäuser entlang der Straße; der nördliche Teil kam 1862 zu Berlin. Als der Mühlenweg, die Verlängerung der Teltowerstraße über die Potsdamerstraße hinaus, zur Kurfürstenstraße wurde (1863), begann deren Nummerierung zunächst an der Potsdamerstraße und lief auf der Nordseite westwärts bis zum Tiergarten und auf der Südseite zurück. Dann fiel auf, dass die Nummerierung des westlichen Teils der Teltowerstraße (die Nummern 20 bis 43) nicht mehr dem preußischen System (rechts hoch und links zurück) entsprach. Daraufhin wurde 1870 der kurze Teil der Teltowerstraße (von der Eisenbahn bis zur Potsdamerstraße) der Kurfürstenstraße zugeschlagen und alles wurde neu nummeriert – Ordnung muss schließlich sein! Aber da war das Siechenhaus bereits wieder weggezogen, und aus dem Pflegeheim war eine Mägdeherberge geworden (Bild 2).
Als das Siechenhaus 1854 gegründet wurde, hatte das Haus die Adresse „Im Schöneberger Feld 47a“; das bezog sich auf die Nummerierung der Schöneberger Grundstücke entlang der Potsdamer Chaussee „rings um die Dorfaue“ (2); an der Teltowerstraße hatte es die Nummer 36 (Bild 2), ab 1870 bekam das Haus die Nummern 21 und 22. Es gab noch nicht viele Häuser und nur auf der nördlichen Seite, entlang dieser kurzen Straße, wie man an der geringen Zahl der Nummern sehen kann. Nach der Umbenennung der Teltowerstraße und Umnummerierung der gesamten Kurfürstenstraße lag das Siechenhaus Bethesda da, wo heute das Café Odor ist und nicht, wie in einer Quelle (3) behauptet, an der Motzstraße.
Die Gründung
Stand im Mittelpunkt der sozialen Aktivitäten der böhmischen Bethlehemskirche Johannes Evangelista Gossner (s. mittendran vom 19. Dezember 2022), so war es bei der Dreifaltigkeitskirche Julie Freiin von Buddenbrock, geboren am 11. Januar 1826, verstorben am 11. Januar 1915 (Bild 3), Tochter der adligen Familie von Buddenbrock, ursprünglich aus Westfalen. Der Vater war Oberstleutnant in der Preußischen Armee, dann Finanzmagnat (Versicherungen) in Berlin und Mitglied des Herrenhauses. Ihre Biografie ist ausführlich dokumentiert in zeitgenössischen und aktuellen Dokumentationen (2). Die Familie wohnte in der Schellingstraße 12, dem Herzen des Geheimratsviertels (heute etwa da, wo die B96 aus dem Tiergartentunnel austritt). In der Nachbarschaft wohnten z.B. der Wissenschaftler und Sozialpolitiker Rudolf Virchow (Nr.10), der Architekt Alfred Messel (Nr. 4), die deutsche Kolonialgesellschaft (Nr.4) und viele adlige Damen, die Julie von Buddenbrock für ihre sozialen Projekte gewann: Fräulein Marie von Reder (Nr.8), Frau von Döring geborene Gräfin zu Dohna (Nr. 13), Frau von Wedell-Malchow (Nr. 2), Fräulein Anna von Walsleben (Nr. 12) und viele andere.
Und wie Johannes Evangelista Gossner hatte auch Julie von Buddenbrock Missionsarbeit in der „heidnischen Welt“ (Morgenländischer Frauenverein; Frauen-Missionsverein für China) ebenso im Programm wie die „innere Mission“ im eigenen Land. Zu letzterer gehörte der Armen-Hilfsverein, in dessen Vorstand sich weitere adelige Damen fanden, u.a. Baronin von Maltzahn (die später in der Derfflingerstraße 8 wohnte), Bettina Gräfin von Arnim geborene Brentano (In den Zelten 5, etwa da, wo heute Tipi – Das Zelt ist) und andere.
Das Siechenhaus Bethesda wurde am 11. Juli 1854 gegründet. Gründungsvorsteherin war Elisabeth Gräfin von Schwerin geborene Maltzahn, aber auch der inzwischen zum Generalsuperintendenten avancierte Carl Büchsel, Pfarrer der Matthäi-Gemeinde, war unter den Gründungsmitgliedern. 1868 wurde Julie von Buddenbrock Mitglied des Vorstandes, zuvor war ihre Mutter bereits eine aktive Unterstützerin des Bethesda Siechenhauses (Bild 4). Laut den Statuten sollte es „...arme, verlassene, unheilbare oder doch an chronischen Übeln leidende, zunächst weibliche, Kranke hiesiger Stadt, welche in den Krankenheilanstalten nicht aufgenommen, oder aus denselben entlassen werden, aufzunehmen und ihnen die nötige geistige und leibliche Pflege zu gewähren. Die Aufnahme geschieht, sobald es die Mittel erlauben, in einzelnen, ganz besonders dringlichen Fällen unentgeltlich, sonst gegen ein angemessenes Pflegegeld“ (4). Auch für das Bethesda Siechenhaus übernahm Elisabeth von Preußen, die spätere Königin, die Patenschaft, aber in den Vorstand kamen nur Frauen, die die Institution mit großzügigen Mitteln finanzierten – im Falle von Julie von Buddenbrock waren dies 6000 Mark im Jahr.
Es war somit kein Krankenhaus, sondern im heutigen Sinn ein Pflegeheim für chronisch oder unheilbar kranke Frauen, nicht Konkurrenz zum Elisabeth-Krankenhaus, sondern offensichtlich notwendige Ergänzung. Es überrascht daher nicht, dass es zunächst drei Plätze in einem ungenutzten Gartenhaus der Elisabeth-Klinik nutzte, bevor 1855 ein Grundstück an der Teltowerstraße gekauft wurde (finanziert über eine Hypothek der Seehandlung, eine dem Finanzministerium unterstellte Staatsbank), auf dem ein Haus für zunächst 17, ein Jahr später (1856) bereits für bis zu 30 Pflegestellen eingerichtet wurde. Die Pflege übernahmen Diakonissen aus deren Mutterhaus Bethanien am Mariannenplatz. Bereits nach kurzer Zeit (ab 1858) wurde, finanziert über eine Spende von 5000 Talern des Kaufmanns Herrmann Gerson, immerhin etwa 170.000€ in Kaufkraft heute (5), ein weiterer Ausbau des Hauses erreicht, das dann Platz für 72 Kranke bot.
Wer war Herrman Gerson?
Hirsch Gerson Levin (1813-1861), Sohn eines Kaufmanns aus Königsberg, war ein jüdischer Kaufmann, der in jungen Jahren (1835) nach Berlin kam, im gleichen Jahr den Judenbürgerbrief erhielt, seinen Namen in Herrmann Gerson änderte und 1836 ein Geschäft für Stickereien, Tüll, Gardinenstoff u.a.m. eröffnete; ab 1841 begann er einen Handel mit Damen- und Herrenmänteln, wurde königlicher Hoflieferant und eröffnete ein Geschäft am Werderschen Markt. Dieses „Konfektionshaus Gerson“ war das erste Kaufhaus in Berlin (Bild 4). Gerson revolutionierte die Kleiderherstellung, indem er „Konfektionsware“ vorproduzierte und nicht „auf den Leib“ zuschnitt, wie es die Schneider machten; aber er entwarf auch 1840 den Krönungsmantel für König Wilhelm I., mit Sicherheit ein Einzelstück. Gerson gab darüber hinaus ab 1856 eine Modezeitung heraus (6), und wohnte prominent im Tiergarten (Bellevue-Straße 10) (Bild 4)
Seine Spende an den Frauen-Hilfs-Verein verband er mit der Bedingung, dass das Geld für einen Ausbau (und nicht den laufenden Unterhalt) genutzt werden soll, und dass zukünftig auch Männer in das Siechenhaus aufgenommen werden sollten. Während der Vorstand des Siechenhauses sich mit der ersten Bedingung gern einverstanden erklärte, bereitete die zweite Bedingung doch einige Bauchschmerzen bei den adligen Damen. Aber da inzwischen in Berlin eine Reihe von Siechenhäusern entstanden waren, in denen auch kranke Männer versorgt werden konnten, erklärte sich der Spender letztendlich damit einverstanden, diese Bedingung fallen zu lassen.
Die Belegstatistik der ersten vier Jahre (1854-1858) gibt einen guten Eindruck nicht nur von der Zweckmäßigkeit der Einrichtung, starben doch nahezu die Hälfte der insgesamt 94 Aufgenommenen in relativ kurzer Zeit (Bild 5); sie zeigt auch den immer noch sehr vorwissenschaftlichen Stand der Medizin, bei dem Ursachen der Erkrankung weitgehend im Unklaren blieben und Therapien beschränkt waren.
Aber auch dieser erneute Ausbau des Bethesda-Siechenhauses erwies sich schnell als nicht ausreichend, so dass bereits 1867 mit dem Bau eines neuen Pflegeheims begonnen wurde (Bild 6) – 1868 zog das Siechenhaus Bethesda um nach Plötzensee und blieb dort bis 1925.
Literatur
1. https://de.wikipedia.org/wiki/Eisenbahnunfall_von_Steglitz
2. Wilhelm Feige: Rings um die Dorfaue. Ein Beitrag zur Geschichte Schönebergs. Verlag Theodor Weicher, Berlin 1937
3. Thomas Karzek: Julie von Buddenbrock 1826 – 1915. Biografische Skizzen. https://www.gossner-mission.de/media/pdf/Julie.pdf.
4. Akte A Rep. 000-02-01 Nr. 1924 im Landesarchiv Berlin, darin: der 1. Jahresbericht des Vereins.
5. https://www.bundesbank.de/de/statistiken/konjunktur-und-preise/erzeuger-und-verbraucherpreise/kaufkraftvergleiche-historischer-geldbetraege-775308#tar-2
6. Gesa Kessemeier: Herrmann Gerson. Das erste Berliner Modekaufhaus. Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2016,