(ein Beitrag von Prof. Dr. Paul Enck, www.paul-enck.com)
Ein Institut von Weltrang, dass kaum einer mehr kennt: Das Röntgeninstitut des Dr. Max Immelmann in der Lützowstraße 72. Als das Institut 1904 einen Kongress anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Erstbeschreibung der X-Strahlen (wie sie zuerst genannt wurden) ankündigte, stand die Anzeige dazu in internationalen wissenschaftlichen Journalen wie Science (Bild 1) (1), mit der Anmerkung, dass auch der Erfinder der X-Strahlen, Professor Röntgen, anwesend sein würde – was dann aber wegen einer Erkrankung nicht der Fall war.
Das Immelmann-Institut
Die Geschichte dieses Instituts begann einige Jahre zuvor im Blumeshof 9, wo Dr. Max Immelmann, ein Facharzt für Orthopädie, im Oktober 1896 ein medizinisch-technisches Institut mit „Inhalatorium und Strahlenlabor“ einrichtete (Bild 2), nachdem Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) ein Jahr zuvor (1895) in Würzburg die bereits 1896 Röntgenstrahlen genannte neue Technik entdeckt hatte, für die er im Jahr 1901 den ersten Nobelpreis für Physik bekam; er hatte bewusst auf eine Patentierung verzichtet. Die Orthopäden hatten die Bedeutung der neuen Technik offenbar am schnellsten begriffen, erlaubte sie doch eine genaue Feststellung, ob z.B. Knochen nun gebrochen oder nur verstaucht waren, und dies konnte eine falsche Behandlung verhindern. Bereits im Jahr nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen wurden an die 50 Bücher und über 1000 wissenschaftliche Artikel über die neu entdeckten Strahlen verfasst (2).
Ob der Kaiser dies auch begriff, mag bezweifelt werden, aber Prof. Röntgen trug seine Erfindung am 12. Januar 1896 dem Kaiserpaar (Wilhelm II. und Kaiserin Auguste, volkstümlich „Juste“ genannt) vor – auch „Kaiserin Friedrich“, die verwitwete Gattin des Kaisers Friedrich III, der 1888 nach nur 99 Tagen Regentschaft verstorben war, war anwesend (3). Der Artikel könnte auch überschrieben sein „Ein Wochenende im Leben der Obertans“, bot er doch für die Damen und Herren allerlei Gelehrsames (Bild 3), nebst dem Vortrag Röntgens „über das von ihm neu entdeckte Licht“. Vielleicht zeigte er hier auch die Hand seiner Frau im Röntgenbild (Bild 4), aber ob sie selbst, nebst Hand, persönlich anwesend war, wird nicht berichtet. Abends gab´s was zu essen, leider wird auch nicht berichtet was, und es gab einen Orden zweiter Klasse für Röntgen.
Dr. Immelmann war also schnell mit der Anwendung der neuen Technik. Noch im Blumeshof 9 wurde 1898 die sogenannten „Röntgenvereinigung“ gegründet, die älteste Röntgengesellschaft der Welt, dort hielt sie ihre erste wissenschaftliche Sitzung ab. 1899 war das Institut bereits umgezogen in die Lützowstr. 72 und hatte expandiert, während Dr. Immelmann selbst von 1897 bis 1904 in der Schillstraße 17 (heute: Carl-Heinrich-Ulrichs-Straße) wohnte (siehe Bild 2), und dann nach Charlottenburg zog (Kantstraße 150).
Wer war dieser Dr. Max Immelmann?
Googelt man Max Immelmann im Internet, stolpert man fast ausschließlich über den Piloten und Kunstflieger Max Immelmann (1890-1916), der – vergleichbar dem Jagdflieger Manfred von Richthofen (1892-1919) – im Ersten Weltkrieg 1914-1918 ob seiner Flugkunst mit Ruhm und Ehre überschüttet wurde, die auch von den Kriegsgegnern anerkannt und gelobt wurde: er war der „Adler von Lille“ (4), seine Ordenssammlung nach fünfzehn Abschüssen von feindlichen Fliegern im Krieg war ungleich größer als die von Röntgen; er wurde aus Versehen 1916 von der eigenen Artillerie vom Himmel geholt. Der Mediziner Dr. Max Immelmann war sein Onkel, Bruder seines Vaters. Die biografischen Informationen über „unseren“ Max Immelmann entstammen zumeist einer kleinen, aber feinen Dissertation über ihn aus dem Jahre 1965 (5).
Max Immelmann (Bild 5) wurde am 12. Juli 1864 in Stendal (Sachsen-Anhalt, 50 km nördlich von Magdeburg) geboren, wo die Familie seit dem 18. Jahrhundert nachweisbar ist. Immelmanns Großvater war Karl August Immelmann (1796–1852) und sein Vater war Franz Alwin Immelmann (1825–1917), beide waren Kreistierärzte in Stendal. Vater Franz Alwin Immelmann war verheiratet mit Alwine geborene Meierheim aus Stendal, und sie hatten drei Söhne und vier Töchter – Max war der Drittgeborene. Der oben bereits erwähnte Neffe Max, sein Patenkind, war ein Sohn seines ältesten Bruders Franz, der in Dresden eine Kartonagenfabrik betrieb.
Max Immelmann ging in Stendal sowie in Seehausen in der Altmark (35 km nördlich von Stendal) zum Gymnasium und machte 1885 das Abitur. Danach studierte er von 1885 bis 1889 in Würzburg und Berlin Medizin. 1889 wurde er mit einer Arbeit über „Acht Fälle von Apoplexie in der Geburt“ zum Dr. med. promoviert. 1891 erfolgte die Approbation in Würzburg, nach der sich Immelmann zunächst in Stendal als praktischer Arzt niederließ. Dort heiratete er am 14. Mai 1892 Friederike Albertine Helene Möllenberg, am 19. Mai 1893 kam ihr einziges Kind Kurt zur Welt.
Im Jahr 1895 wechselte er als Assistent an das von Sanitätsrat Dr. Gustav Schütz (1842-1930) gegründete medico-mechanische Institut zu Berlin, das zu diesem Zeitpunkt in der Wilhelmstraße 92-93 residierte. Schütz war Lehrbeauftragter für Mechanotherapie (z.B. Massage) an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, wo er 1908 zum Professor ernannt wurde. Hier lernte Immelmann Grundlegendes zur Orthopädie. Bereits nach einem Jahr (ab Oktober 1896) machte er sich mit seiner „Anstalt für Orthopädie und Pneumotherapie“ selbstständig, die er im Blumeshof 9 eröffnete; hier unterhielt er ein „Röntgen-Cabinett“. Nach dem Umzug in die Lützowstraße 72 im Jahr 1899 arbeitete Immelmann zunehmend mit Röntgenstrahlen als Diagnostik-Instrument (s. Bild 2).
Während die Röntgentechnik von Anfang an Faszination auslöste, erlaubte sie doch zum allerersten Mal in der Geschichte der Medizin einen Einblick in die Anatomie des Körpers, ohne diesen – operativ oder posthum – zu öffnen, so wurden seine Gefahren (zu) lange unterschätzt: Viele der frühen Radiologen litten im späteren Leben an Strahlenschäden der Hände (Strahlendermatitis), da diese am häufigsten den Röntgenstrahlen ausgesetzt waren, oder starben an Haut- und anderen Krebserkrankungen. Auch Dr. Immelmann arbeitete später nur mit Handschuhen, nicht um sich vor Strahlen zu schützen als vielmehr die verstrahlten Hände nicht zeigen zu müssen; in den letzten Jahren seines Lebens war sein rechter Arm unbeweglich geworden (5). Und die Älteren unter uns werden sich vielleicht noch erinnern, dass bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein in Schuhgeschäften sogenannte Pedoskope – nicht zu verwechseln mit einem heutigen Podoskop – benutzt wurden, um die Schuhe zu „durchleuchten“, ob die Füße darin genug Platz hatten – auch das war eine Röntgentechnik (6).
Der 10-Jahre-Bericht 1906 – eine Leistungsbilanz
Im Jahr 1906 lieferte Immelmann, inzwischen Sekretär der Deutschen Röntgengesellschaft und Mitherausgeber radiologischer Zeitschriften, eine Zwischenbilanz der ersten zehn Jahre seiner klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit ab (7). Diese stand noch ganz im Zeichen der Orthopädie und berichtet über den Einsatz der Röntgendiagnostik bei einer Vielzahl von angeborenen und erworbenen Krankheiten des Skelettsystems. Zu diesem Zeitpunkt war das Institut in fünf Abteilungen untergliedert: Orthopädie und Heilgymnastik; Orthopädische Werkstatt; Inhalatorium; Röntgen-Laboratorium; Photographisches Laboratorium. Wie die Tabelle (Bild 6) zeigt, nahm die Aktivität in allen fünf Bereichen im Zeitraum von zehn Jahren etwa um den Faktor 10 zu, und zwar kontinuierlich von Monat zu Monat vor allem nach dem Umzug 1899: Am Ende waren es mehr als 11000 orthopädische Sitzungen, mehr als 9000 mechanische Behandlungen (heute würde man Physiotherapie sagen), mehr als 1000 Inhalationsbehandlungen, über 2000 Röntgenuntersuchungen und die Anfertigung von mehr als 350 orthopädischen Stützapparaten.
In den folgenden Jahren wandte sich Immelmann aber vor allem der Darstellung innerer Organe (Blase, Uterus) zu und weniger den orthopädischen Erkrankungen der Knochen und Gelenke. Wie viele andere Röntgenpioniere in dieser Zeit, erfuhr er die Gefahren der neuen Technik am eigenen Leibe (s. oben). Einer seiner technisch wertvollsten Beiträge aus der Radiologie war sicherlich die erste Messung der Strahlenintensität der Röntgenstrahlen, das sogenannte Radiometer 1908 , das sein Assistent Lepper konstruiert hatte (8).
Dr. Immelmann starb überraschend im Alter von 59 Jahren am 31. März 1923 in seinem Institut an einem Herzschlag; er wurde auf dem alten St. Matthäus Friedhof beerdigt, 1938 jedoch umgebettet nach Stahnsdorf. Seine Frau verstarb nach dem Krieg, am 23. Januar 1948, in Stendal, wohin sie wegen der Bombardierung Berlins ausquartiert worden war. Das Institut blieb in der Lützowstraße 72 bis in die 40er Jahre hinein, da es von seinem Sohn Kurt Immelmann, Facharzt für Orthopädie, weitergeführt wurde. Kurt hatte am 2. Mai 1918 die Erna Röschen Rom aus Berlin-Wilmersdorf geheiratet und wohnte bis Kriegsende in der Jenaer Straße 17 in Berlin Wilmersdorf. Im Krieg wurde das Gebäude Lützowstr. 72 vollständig zerstört, Kurt Immelmann starb am 9. Mai 1945 durch eine selbständige Überdosis eines Schmerzmittels in Brieselang (bei Nauen, Havelland),
Literatur
- Science Vol XIX No. 470 (1904), S.40 (https://www.science.org/doi/10.1126/science.19.470.40)
- J.Kirchner. Zur Geschichte der Radiologie. (https://rwrg.de/wp-content/uploads/2018/02/RWRG-Geschichte-der-Radiologie.pdf)
- Vossische Zeitung Nr. 20 vom 13. Januar 1896 (Abendausgabe, Seite 2).
- https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Immelmann
- Dietrich Döring. Max Immelmann 1864-1923. Biobibliographie eines Berliner Röntgenpioniers. Dissertation, Freie Universität Berlin 1965.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Pedoskop
- Dr. Immelmann. Zehn Jahre Orthopädie und Röntgenologie 1896 – 1905. Berlin, Druckerei Klett 1906.
- Max Immelmann. Ein neuer Röntgenstrahlenmesser. in: Verhandlungen der Deutschen Röntgen-Gesellschaft Band IV (25. und 26. April 1908 in Berlin) Hamburg Lucas Gräfe und Sillem 1908, Seite 84f.