Post aus Wien

Mittendran wird gelesen, auch im Ausland, zumindest der Blog, und dort wiederum die historischen Artikel – wie wir neulich mit der Mail aus Schweden (mittendran vom 11. Mai 2024) berichtet haben. Nur wenige Wochen später erreichte mich eine Mail aus Wien, geschrieben von einem englischen Rechtsanwalt, Andrian M. Maitland-Mehlmann, der Bezug nahm auf meinen Beitrag zur Unger-Klinik (mittendran vom 20. März 2023). Er war der Meinung, dass der Sohn von Professor Dr. Ernst Unger, Dr. Wolfgang Unger (1908-1998) (Bild 1) zur medizinischen Ausbildung nach Edinburgh und später nach London gegangen sei, während ich mich zu erinnern glaubte, dass er nach dem Studium in Deutschland nach England gegangen sei, und seine medizinische Ausbildung dort „nur“ anerkannt wurde. Barrister Mehlmann kannte „Dr. Wolfgang“ als Hausarzt seiner Mutter, und war nach dem Krieg in die Wiedergutmachungsklage der Familie gegen das Deutsche Reich involviert. Er hatte außerdem die Dissertation von Enno Winkler über Ernst Unger (1) ins Englische übersetzt, wohl vor allem, damit seine Mutter sie lesen konnte – ein braver Sohn.

Bild 1: Ernst Unger und seine Familie, fotografiert während eines Besuches in London 1935 bei seinem Sohn. Von links nach rechts: Tochter Irmgard, Ernst Unger, seine Frau Paula geb., Birnbaum und sein Sohn Wolfgang (Fotograf unbekannt, die Nachkommen der Familie Unger in England hatte dieses Foto dem Biografen Enno Winkler (1) zur Verfügung gestellt).

Was nun die medizinische Ausbildung von Wolfgang Unger betraf, konnten wir die Angelegenheit schnell klären: Nach Auskunft des Archivs der Humboldt-Universität studierte Wolfgang Unger in Berlin, aber auch in Freiburg und zuletzt in München, wo er im Dezember 1931 das Staatsexamen ablegte, und die erste Hälfte des praktischen Jahres absolvierte. Er wurde in Berlin im Dezember 1932 approbiert (Bild 2) und legte hier im Juni 1933 seine Doktorprüfung ab. Danach verließ er Deutschland auf dem schnellsten Wege – seit dem 31. Januar 1933 regierten hier die Nationalsozialisten – und legte in Edinburgh (Schottland) die englischen Examina ab. Dort lernte er seine spätere Frau, Edith Maude Hamilton, kennen, sie heirateten und zogen „south of the border“ nach Sutton (Surrey, heute: Greater London), wo er eine Praxis eröffnete.

Bild 2: Lebenslauf von Wolfgang Unger aus seiner Dissertationsschrift.

Aus der Ehe Hamilton-Unger ging ein Sohn hervor, der wiederum mit Medizin gar nichts mehr am Hut hatte, sondern ein bekannter Konzertmusiker und Komponist wurde, Clive Hamilton-Unger, der später dazu überging, Bücher über Musik zu schreiben, die auch ins Deutsche übersetzt wurden. Diese musikalische Begabung hat er an seine zwei Söhne weitergegeben: der eine ein weltweit bekannter Musiker (Keyborder), Gus Unger-Hamilton von der Band „Alt-J“, der andere Manager im musikproduzierenden Gewerbe. Ob Clive Unger-Hamilton noch lebt, konnten wir nicht in Erfahrung bringen, seine Frau Cordelia Unger-Hamilton ist Übersetzerin von Lyrik, aber auch von Musiktexten und lebt in der Nähe von Manchester, aber ohne eine E-Mail-Adresse kommt man nicht weiter, wenn man Nachfahren sucht.

Hier half nun ein weiterer Leser: Dr. Benjamin Kuntz, Leiter des Museums des Robert-Koch-Instituts Berlin, hat Kontakte zu den Nachkommen der Tochter von Ernst Unger, Irmgard (1909-1999), die den schwedischen Wissenschaftler Erik Lindahl geheiratet hatte und den 2. Weltkrieg in Schweden überlebt hatte. Deren Nachkommen werden im Oktober nach Berlin kommen, um einen Blick auf und in die ehemalige „Unger-Klinik“ zu werfen – wir werden darüber berichten. Und mit Benjamin Kuntz kam der Kontakt zustande über eine weitere Recherche, die Suche nach einem anderen jüdischen Arzt und dessen Frau, die 1939 aus Berlin verschwanden und deren Verbleib bislang unklar ist, Dr. Emil Rosenthal und die Kinderärztin Dr. Pauline Rosenthal, geborene Joffé. Dazu ein andermal mehr.

Literatur

  1. Enno A. Winkler. Ernst Unger (1875-1938). Eine Biobibliographie. Dissertation. Berlin: Internationale Verlags-Anstalt 1976.

Paul Enck

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