Erziehung und Wissenschaft damals (6): Die Körner-Realschule

Fast hätten wir sie übersehen, die Körner-Realschule, die ursprünglich die 3. Städtische Realschule bzw. III. Städtische Höhere Bürgerschule hieß und die am 13. Oktober 1887, wenige Jahre nach dem Falk-Realgymnasium (mittendran vom 7. Juli 2024) und der Charlotten-Mädchenschule (mittendran vom 27. Oktober 2024), mit den drei untersten Klassen und 145 Schülern eröffnet wurde. Sie fand sich auf einem Stadtplan von 1910 (Bild 1) und hatte ihren Zugang von der Steglitzer Straße 8a (heute Pohlstraße 18).

Bild 1: Lage der Körner-Realschule auf einem Stadtplan von 1910.

Im Gründungserlass vom 20. Mai 1887 (Bild 2) wird die Schule als „im Potsdamer Stadtviertel“ zu errichten verordnet, zu diesem Zeitpunkt war die Auswahl des Grundstücks offenbar noch nicht erfolgt. Daher wurde sie, wie auch bei den Gemeindeschulen üblich, zunächst in Behelfsunterkünften untergebracht: Sie zog erst einmal provisorisch in das Gebäude 22. Gemeindeschule in der Kurfürstenstraße 144 ein und zog Ostern 1888 in das eben fertiggestellte Gebäude der Gemeindeschulen Nr. 157 und 164 in der Derfflingerstraße 18a um (s. mittendran vom 6. August 2024). Und da dort sowohl Mädchen wie Jungen unterrichtet wurden, „war das Unterrichten nicht ganz leicht, denn durch die naturgemäß (!) zu verschiedenen Zeiten angesetzten Pausen entstanden manche Störungen“ (1). Im Herbst 1891 konnte dann die neu gebaute Schule in der Steglitzer Straße 8a bezogen werden.

Bild 2: Verordnung zur Errichtung der 3. Realschule im „Potsdamer Stadtviertel“ vom 20. Mai 1887 (aus: (1)).

Mit jedem neuen Jahrgang wurde die Zahl der Klassen erweitert: der Ausbau erfolgte sozusagen „von unten“ und erreichte im Frühjahr 1891 die volle Stärke von zwölf Klassen (in sechs Jahrgangsstufen) mit mehr als 400 Schülern und die erste Abschlussprüfung. Die Reife (später wurde sie „mittlere Reife“ genannt) erreichten zu diesem Termin die ersten neun Absolventen  – dies erlaubte ihnen den auf ein Jahr verkürzten Militärdienst – deswegen wurde dieser Abschluss auch das „Einjährige“ genannt. Der Abschluss war Voraussetzung für bestimmte Karriereschritte im mittleren öffentlichen Dienst, nicht jedoch im höheren Dienst und für den Universitätszugang; dazu war der erfolgreiche Besuch der Oberstufe einer Oberrealschule oder eines Realgymnasiums wie das Falk-Realgymnasium notwendig, oder eben eines klassischen Gymnasiums.

Der Schulneubau in der Steglitzer Straße hatte zwölf Klassenräume für je 40 bis 50 Schüler, ein physikalisches Lehrzimmer mit Vorraum, ein Zimmer für die naturkundliche Sammlung, einen  Utensilienraum, je ein Zimmer für die Lehrer- und die Schülerbibliothek, einen Zeichensaal und eine Aula, dazu ein Lehrerzimmer und ein Amtszimmer für den Direktor. In separaten Gebäuden waren untergebracht: die Turnhalle und die Wohnungen des Direktors und des Schuldieners. Es gab einen großen Schulhof.

Der erste Direktor der Schule wurde Prof. Dr. Gustav Lücking, der zuvor die Position eines Oberlehrers an der Luisenstädtischen Oberrealschule inne hatte und ein ausgewiesener Experte der französischen Sprache war: Sein Schulbuch über die französische Grammatik (2) war weit verbreitet, sein Buch über die ältesten französischen Mundarten (3) gilt noch heute als lesenswert. Er leitete die Schule bis zum 25-jährigen Jubiläum 1912. Bei dieser Gelegenheit wurde der Schule der neue Name „Körner-Realschule“ verliehen (Bild 3), benannt nach dem Dichter der Freiheitskriege 1813-1815, Theodor Körner (1791-1813), der auch der Namensgeber der Körnerstraße „um die Ecke“ war.

Bild 3: Namensänderung der 3. Realschule im Jahr 1913 (aus (3)).

Lückings Direktorengehalt betrug 5400 Mark jährlich, in vierteljährlichen Raten im Voraus zu zahlen. Es lag damit fast 1200 Mark niedriger als das Gehalt des Direktors des Falk-Realgymnasiums. Akademisch gebildete Lehrer, die so wie Lücking ein Universitätsstudium absolviert hatten und dadurch Oberlehrer wurden, bekamen an der Schule ein Jahresgehalt von 3600 Mark, so wie der Oberlehrer Dr. Emil Haentzschel; Emil Haentzschel wurde einige Jahre später ein bekannter und berühmter Mathematiker und Physiker, der 1902 auf eine Professur an die Universität Berlin berufen wurde (Bild 4) (4). Auch Lückings Nachfolger als Direktor, Prof. Dr. Wilhelm Greif, war ein anerkannter Akademiker und Philologe, bekannt durch sein Buch über die „Mittelalterliche Bearbeitung der Trojanersage“ (5). Lehrer, die ihre Ausbildung an einem Lehrerseminar absolviert hatten, bekamen stattdessen ein Jahresgehalt von 2600 Mark – 1891 entsprach dies einer Kaufkraft von 18.200 Euro heute (Umrechnungsfaktor 1 : 7). Zu Lückings Gehalt als Direktor kam noch das Privileg einer Dienstwohnung auf dem Schulgelände (Steglitzer Straße 8a ab 1892), aber solange die Schule noch nicht fertiggestellt war, wohnte er zunächst in Kreuzberg (Planufer 40) bis 1890, in der Nähe seiner früheren Schule; für ein Jahr – 1891 -wohnte er in der Kurfürstenstraße 44 gegenüber der Gemeindeschule, in der die Realschule untergebracht war. Alle anderen Lehrer wohnten zumeist in der Nähe der Schule, z.B. der Oberlehrer Dr. Emil Haentzschel 1888 im Blumeshof 3, 1889 bis 1891 in der Dennewitzstr. 10, 1892 bis 1895 in der Eisenacherstr. 11, und 1896 in der Gleditschstraße, aber da war er bereits versetzt worden an das Köllnische Gymnasium.

Bild 4: Der Mathematiklehrer Emil Haentzschel (1858-1948), der später Professor für Mathematik und Physik an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin wurde (aus: Wikipedia, gemeinfrei)

Auch an dieser Schule musste Schulgeld bezahlt werden: es betrug 80 Mark jährlich, wobei es für Familien, die dies nicht aufbringen konnten, Freistellen gab. Dies waren zwischen 1887 und 1891 bis zu 10 Prozent der jeweiligen Schüler, wie die Tabelle zeigt (Bild 5). Die Religions- und Heimatverhältnisse der Schüler im Februar 1891, als 405 Schüler die Schule besuchten, waren wie folgt: 288 waren Einheimische, 107 waren Auswärtige, und 10 waren Ausländer; 364 waren evangelisch, 11 waren katholisch und 30 waren jüdischen Glaubens, was ungefähr der Religionsverteilung in Berlin entsprach. Unter den Vätern der ersten neun Abiturienten waren zwei Kaufmänner, zwei Schriftsetzer, ein Gemeindelehrer, ein Schriftsteller, ein Gastwirt und ein Schmiedemeister, und die Berufswünsche der Abiturienten bewegten sich in den gleichen Regionen: Kaufmänner, Landwirt, Musiker, Bankbeamte, Geometer (1). Damit hatte die Realschule im Wesentlichen ihre Funktion erfüllt: Einer breiteren Bevölkerungsschicht den Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen, allerdings mit Ausrichtung auf praktische Berufe.

Bild 5: Liste der Freistellen (Schüler mit vollständiger oder teilweiser Erlassung der Schulgebühren) und der Gesamtschülerzahl zwischen 1887 und 1891 (aus: (1)).

Das Ende

Im Winter 1923 war die Körner-Realschule zusammengelegt worden mit der Charlotten-Schule, um Heizkosten zu sparen. 1928 wurde die Realschule zur Oberrealschule aufgestockt; in den dann 13 Klassen (bei neun Jahrgängen) besuchten zu Ostern 1930 nur noch 345 Schüler die Körner-Oberrealschule, weniger als 40 Jahre zuvor bei geringerer Klassenzahl. Dieser Prozess war 1932 abgeschlossen: Erstmals fanden zu Ostern 1931 die Reifeprüfungen an der Oberrealschule mit 14 Schülern statt. Und 1935 wurde die Schule in eine Handelsschule für Jungen umgewandelt, eine vergleichbare Entwicklung wie die der Charlottenschule am anderen Ende der Steglitzer Straße, die zur Handelsschule für Mädchen wurde. Es wohnten offenbar nicht mehr ausreichend viele Familien mit Kindern im Lützow-Viertel, die für die drei Schulen mit höherer Bildung in Frage kamen: Das Falk-Realgymnasium, die Körner-Oberrealschule und das Charlotten-Lyceum. Das Viertel selbst hatte sich gewandelt und war zum regierungsnahen Verwaltungs- und Dienstleistungsviertel geworden.

Literatur

  1. Bericht zum 25jährigen Jubiläum sowie die ersten Schulberichte in den Akten des Brandenburgischen Landeshauptarchivs (BLHA) Potsdam: Akten xyz
  2. Gustav Lücking: Französische Grammatik für den Schulgebrauch. Verlag Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1889.
  3. Gustav Lücking: Die ältesten französischen Mundarten: Eine sprachgeschichtliche Untersuchung. Verlag Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1877.
  4. Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Haentzschel
  5. Wilhelm Greis: Die mittelalterlichen Bearbeitungen der Trojanersage. N. G. Elwerth´sche Verlagsbuchhandlung Marburg 1886.

Paul Enck

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