Spaziergang in die Vergangenheit (11): Ein Schwimmbad in der Lützowstraße

Immer wieder kommt es vor, dass einem bei einer Recherche ein Zufallsfund in den Schoß fällt, mit dem man nicht gerechnet hat, und der einer Geschichte eine neue Wendung geben würde, würde man ihm nachgehen. Wenn dies aber ein zweites Mal passiert, ist dies zwingend der Grund für eine neue Geschichte – oder eben einen Spaziergang. Heute ein Spaziergang in die Lützowstraße 89/90.

Bäder im Lützow-Viertel hatten wir bereits früh gefunden, das Karlsbad an der Straße „Am Karlsbad“ (mittendran am 11. November 2020) war das erste und existierte von 1821 bis etwa 1860. Das kommunale Bad an der Dennewitzstraße (mittendran vom 25. November 2020) entstand erst 1902. Aber wo haben die Leute im Viertel eigentlich gebadet in den 40 Jahren dazwischen, als die Schöneberger Vorstadt nach und nach besiedelt wurde? Es gab zwar 1850 eine Vielzahl von Badestellen in der Stadt (Bild 1), aber die lagen alle in anderen Stadtvierteln.

Bild 1: Auszug aus dem Berliner Adressbuch von 1850: Badehäuser und Badeanstalten.

Bei Durchsicht der Bauakten des „Kolonialhaus Bruno Antelmann“ in der Lützowstraße 89-90 (mittendran vom 23. Dezember 2023) war aufgefallen, dass der Vorbesitzer des Hauses, ein Ernst Kühn, dort offenbar eine Badeanstalt betrieb, die ab 1878 den Namen Kaiser-Wilhelm-Bad führte und auch schon 1877 als „Badeanstalt“ im Adressbuch geführt worden war. Davor (1876) gehörten dem Rentier Kühne beide Häuser (89 und 90) gemeinsam mit einem F. Wagner, einem Restaurateur, Besitzer des Café Suisse und eines Hotel Garni in der Dorotheenstraße 84, während Kühne als Adresse die Steglitzer Straße 81 angab – dieses Haus gehört ihm ebenfalls. Wagner und Kühne hatten die Häuser in der Lützowstraße 89/90 im Jahr 1874 von dem Kaufmann Michaelis gekauft, der sie wiederum 1872 von einem Rentier Schipke erworben hatte – gebaut worden waren die Häuser schon 1863, und 1864 hatten sie noch keine Hausnummer, sondern hießen Schlipke’sches Haus I und II an der Lützowerwegstraße (Bild 2).

Bild 2: Adressbuch-Eintrag der Häuser Lützowerwegstraße 89 und 90 im Jahr 1864.

Die Bauakte (1) gibt weitere Auskunft über die Badeanstalt, allerdings erst ab 1894, nachdem Ernst Kühn am 18. März 1893 verstorben war und seine Erben, die Witwe Martha Kühn geborene Richter und die Kinder Max, Ernst, Martha und Elisabeth sowie weitere Angehörige in das Grundbuch eingetragen wurden. Im gleichen Jahr wurde die Badeanstalt erweitert um ein neues Schwimmbecken (Bild 3) und einen Restaurationsbetrieb, allerdings wurde bereits acht Jahre später, nach dem Tod der Witwe Kühn 1901, die Firma Kaiser Wilhelm Bad Otto Kühn im Handelsregister gelöscht, die Badeanstalt abgebrochen und das Gelände neu bebaut – jetzt entstand hier das Kolonialhaus des Kaufmanns Bruno Antelmann, der 1882 Martha Kühn, eine der Erben der Häuser Lützowstraße 89-90, geheiratet hatte.

Bild 3. Bauzeichnung des Kaiser-Wilhelm-Bades aus dem Jahr 1894, als die neue Schwimmhalle (oben links, rot markiert) gebaut wurde. Die alte Schwimmhalle ist in der Zeichnung oben angedeutet; oben rechts der Grundriss des Erdgeschosses mit Bassin und Kabinen, unten ein Querschnitt durch die Etagen (aus (1)).

Diese Badeanstalt in der Lützowstraße 89-90 war auch vor dem Umbau 1894 immerhin so bedeutsam, dass hier die ersten Deutschen Meisterschaften im Wasserspringen (Kunstspringen) stattfanden, im Jahr der Gründung des Deutschen Schwimm-Verbandes 1886 in eben diesem Bad (2), und auch ein Jahr später traf man sich im Kaiser-Wilhelm-Bad (Bild 4). Es gab nicht nur Schwimmunterricht, sondern auch Wettschwimmen, es fanden Tauchwettbewerbe statt, Rudertraining im Winter und Demonstration von Rettungsapparaten bei Ertrinkungsgefahr, aber auch Kostümfeste (3).

Bild 4. Gründung des Deutschen Schwimm-Verbandes 1886 im Kaiser-Wilhelm-Bad in der Lützowstr. 89/90 (aus: 2) und die ersten Deutschen Meisterschaften im Schwimmen und Wasserspringen (https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Schwimmmeisterschaften).

Nur wenige Meter weiter (Lützowstraße 74) fand sich ab 1888 ein weiteres Bad, allerdings ein eher medizinisches und nicht ein Sport- und Spaß-Bad, das wir beim nächsten Mal besuchen werden.

Literatur

  1. Landesarchiv Berlin, Bauakte B Rep. 202 Nr. 3088.
  2. Berliner Börsen-Zeitung (BBZ) vom 28. August 1886, Seite 7.
  3. BBZ vom 28. April 1882, vom 25. August 1891, vom 18. August 1894, vom 15. November 1900 bzw. vom 26. Juni 1880.

Paul Enck

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