Das Bild (Bild 1) hatten wir schon länger, nur zugeordnet hatten wir es bislang nicht: In der Bildlegende im Marburger Bildindex heißt es nur „Lützowstraße, um 1930“ mit fraglicher Angabe eines Fotografen (1), und das reicht dem Kiezforscher nicht. Die Lösung war einfacher als gedacht, weniger aufwendig jedenfalls als bei der letzten Bildersuche (mittendran vom 28. September 2023).

Bild 1: Lützowstrasse 9 bis 1 (Quelle (1)).
Genau genommen sind es zwei Fotos (1), aufgenommen von annähernd dem gleichen Standort auf die gleiche Häuserreihe, nur war in einem der beiden links ein weiteres, sehr markantes Haus angeschnitten. Man vermeint, in dessen Hauseingang Beschriftung zu lesen, etwa mit „…maler…“ – das führte uns nicht weiter. Das andere Bild (Bild 2) mit dem kleineren Ausschnitt der Straße zeigt dagegen hinter dem Auto eine im Erdgeschoss des Hauses gelegene Gastwirtschaft mit dem markanten Namen „Zum Bärensprung“ – das führte uns zur Lösung.

Bild 2: Lützowstrasse 8 bis 1 (Quelle (1)).
Zwar kannte das Adressbuch Berlins der Jahre 1925 bis 1933 keine Gastwirtschaft „Zum Bärensprung“, weil im Branchenverzeichnis die Gaststätten mit ihren Pächtern oder Besitzern genannt werden, nicht mit ihren Wirtshaus-Namen. Aber ab und zu wird in anderen Quellen (Zeitungen, etc.) Werbung für Gasthäuser gemacht, und in diesem Fall waren es die Berliner Buchhändler bzw. deren „Verein Markthelfer“, der in einer Gastwirtschaft diesen Namens in der Lützowstraße 7 im Jahr 1925 seinen monatlichen Stammtisch abhielt (Bild 3). Beim Blick in das Adressbuch dieses Jahres für die Lützowstraße 7 heißt der Wirt dieses Etablissements W. Plath (Bild 4). Noch bis 1932 muss das Lokal dort gewesen sein, traf sich dort doch die „Eiserne Front“, Gewerkschafter der Metallarbeiter in der Lützowstraße und Umgebung.

Bild 3: Auszug aus dem Adressbuch für den Berliner Buchhandel für das Jahr 1925, S. 222.

Bild 4: Auszug aus dem Adressbuch für Berlin für das Jahr 1925.
Da die Lützowstraße von Anbeginn an preußisch (durchlaufend, rechts aufsteigend, links zurück) nummeriert war (siehe mittendran vom 14. April 2022), handelt es sich also bei der Häuserreihe um die Hausnummern 1 bis 8 bzw. bis 9 für das Bild mit dem größeren Ausschnitt. Das erlaubt zwei weitere interessante Beobachtungen:
Das Haus Nr. 7 hat eine „entstuckte“ Fassade, was im Zuge der „neuen Sachlichkeit“ vielen Fassaden in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts angetan wurde und nicht immer zu höherer Ästhetik führte. Das Haus rechts (östlich) davon, die Nr. 6, hatte seine Stuckfassade behalten; es ist das Haus, das auch noch hier steht (Bild 5) und eben wegen dieser erhaltenen (restaurierten) Fassade heute unter Denkmalschutz steht.

Bild 5: Mietshaus 1878-79 von Fr. Hampel (Urheber: Sekamor, aufgenommen am 4.2.2012 für Wikipedia, gemeinfrei)
Westlich der Nr. 7 steht heute ein Neubau (Nr. 8), danach zweigt die Bissingzeile ab. Im Adressbuch von 1925 (s. Bild 4) steht nach der Nr. 8 „Durchgang zur Potsdamer Straße“. Damit gemeint ist der breitere Durchgang durch das Haus Nr. 9, der eben keine Straße darstellt, sondern offensichtlich einen Fußweg. Dieser Weg wurde erst 1936 von den Nationalsozialisten in Bissingzeile umbenannt, er war seit seiner Anlage 1897 (mittendran vom 28. März 2021) ein für den allgemeinen Verkehr gesperrter, namenloser Privatweg – Straße wurde er erst 1957. Dahinter verbargen sich vor dem Zweiten Weltkrieg 13 Stadtvillen, von denen heute nur noch drei stehen, zwei im Originalzustand, eine vor wenigen Jahren rekonstruiert (mittendran von 23. September 2021).
Damit haben wir eine weitere Häuserzeile in der Lützowstraße entschlüsselt; aber es fehlen noch so viele.
- Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Türck, ??, Aufn.-Datum: um 1914/1939?: Bild-Nr. 806.201 und 806.202.