Als die Villa (Bild 1) gebaut wurde, hieß die Potsdamer Straße noch Potsdamer Chaussee, und die wenigen Häuser links und rechts entlang der Chaussee, vom Landwehrkanal in Richtung Schöneberg, waren zumeist Sommerhäuser und Villen von Leuten, die es sich entweder leisten konnten, im Sommer weg aus der Stadt und aufs Land zu ziehen, oder die hier bauten, weil Bauland günstig war, weil es zum Dorf Schöneberg gehörte − im Gegensatz zu den Wiesen und Feldern nördlich des Kanals. Ärzte, Apotheker, Architekten und einzelne Unternehmer gehörten dazu, wie der Druckereibesitzer Hänel (mittendran vom 7. August 2023) und der Eisenbahn-Waggonbauer Jungbluth (mittendran vom 7. September 2023).
Der Geheime Kalkulator, Rechnungsrat Friedrich Adolph Schneider, geboren am 19. April 1787, gehörte eigentlich nicht dazu. Er war der Sohn des Hofschneiders des Prinzen Heinrich von Preußen (1726–1802), und diese Protektion hatte ihm womöglich 1803 die Stellung als beamteter Rechnungsrat im „Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten“ (= Kultusministerium) eingebracht. Ausweislich seiner Personalakte (1) war er kein besonders guter Beamter, sondern einer, der in seiner Dienstzeit über technische Vorrichtungen zum Bewässern von Topfpflanzen nachdachte (Bild 2), und der, wenn er einmal „rechnungstechnisch“ mehr gefordert wurde, schnell kränkelte und dann dem Dienst fernblieb – so jedenfalls die Beurteilung durch Vorgesetzte.
Eine weitere seiner Leidenschaften war die Astro-Meteorologie, die Wettervorhersage durch Sterndeutung. Das war zu keinen Zeiten eine gesicherte Wissenschaft, galt aber im Jahre 1830 bereits als pseudowissenschaftlicher Hokuspokus − die Welt war nach Alexander von Humboldts (1769-1859) Weltreisen und -erklärungen eine andere, rationaler als noch im 18. Jahrhundert. Wäre also Rechnungsrat Schneider bei seiner praktischen Pflanzenkunde und Wettererforschung im Dienst und nach Feierabend geblieben, hätte er vermutlich in seiner Wohnung in der Stadt einen ruhigen, bescheidenen Lebensabend erleben können.
Stattdessen spielte er in der preußischen Staatslotterie und gewann 1834 einen Hauptgewinn, vermutlich 100.000 Taler, an Kaufkraft etwa das 40-fache in Euro heute, 4 Millionen. Und nur kurze Zeit danach wiederholte sich dies − spätestens ab diesem Zeitpunkt glaubte er sich vom Schicksal aufgefordert, seinem Hobby, der Astro-Meteorologie, die ihr zustehende öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen: Er zog 1836 an die Potsdamer Chaussee 42c, die nach 1841 (s. oben) zur Potsdamer Straße 120 wurde (heute: Potsdamer Straße 61-63), wo das Astro-Meteorologische Institut erbaut worden war, auf dessen Dach er astronomische Instrumente (die es schon gab) installiert hatte, um das Wetter vorherzusagen. Der Garten des Grundstücks ging entlang der gesamten heutigen Bissingzeile.
Schneider blieb ein Einzelgänger, verheiratet zwar seit 1839 mit Bertha Caecilie Francke (1812-1886), aber ohne Kinder, zog er sich 1835 mit 48 Jahren aus seinem Beruf im Ministerium zurück, bekam eine kleine Rente (jährlich 1420 Taler, die er nicht brauchte (2)) und versuchte in seinen letzten Lebensjahren, das Institut der Akademie der Wissenschaften zu schenken − die es nicht haben wollte, weil daran die Bedingung geknüpft war, weiterhin Astro-Meteorologie zu betreiben. Nach seinem Tod am 27. April 1869 übernahm das Finanzministerium die Immobilie. Seine Frau wohnte bis zu ihrem Tod bei ihrem Bruder Am Karlsbad 1. Im Jahr 1882 wurde in der Villa die Akademie für Musik untergebracht, und schließlich (1942) das Reichsinstitut für Erziehung und Unterricht. Am Ende des 2. Weltkrieg wurde das Gebäude zerstört.
- Akten im Geheimen Staatsarchiv (GStA), I. HA Rep. 76 I, Sekt.31 Lit S. Nr.17
- GStA, Akte I. HA Rep. 89 Nr. 11192.