Wir sind schon einmal im Atelierhaus an der Lützowstraße 82 gewesen, vor kurzem anlässlich der Munch-Ausstellung in Berlin hatten wir ein Foto veröffentlicht, das ihn in seinem Atelier sitzend zeigt (mittendran vom 8. Dezember 2023). Und ein anderes Atelierhaus, Lützowstraße 60, ist schon zweimal erwähnt worden, anlässlich der Geschichte über den Bildhauer Josef Thorak (Mittendran vom 13. Juni 2023) und beim Spaziergang Nr. 6 (Mittendran vom 31. Oktober 2023). Aber was es mit dem Atelierhäusern auf sich hatte, war dabei noch nicht erzählt worden.
Das Bauen von Künstlerateliers hatte in Berlin durchaus Tradition, wie ein Artikel (1) des Regierungs-Baumeisters Rudolph Goldschmidt (1850-1915) belegt, der – selbst Architekt – bereits für den Berliner Maler Professor Franz Skarbina (1849-1910) ein Atelier entworfen hatte und in dessen eigenem Haus (Schöneberger Ufer 35 und 36A) später seine Kinder eine Kunstgalerie einrichteten (Mittendran vom 7. Juni 2022). Atelierhäuser für mehrere Künstler waren dagegen „in Berlin etwas verhältnismäßig Neues. Sie sind anscheinend aus München nach hier verpflanzt worden“ (S. 261).
Das Grundstück Lützowstraße 82 war 1855 erstmals bebaut worden; das „Haus Rüger“ gehörte einem Tischlermeister diesen Namens. Es gab auf dieser Seite der Potsdamer Straße für die Lützowerwegstraße noch keine Hausnummern und nur wenige Häuser mit für heutige Verhältnisse riesigen Grundstücken. Dreißig Jahre später war die Straße umbenannt und es waren viele Parzellen bebaut. Im Jahr 1889 kaufte der Marmorwerk-Fabrikant Gustav Schleicher (1860-1915), Sohn des Mathias Leonhard Schleicher (1830-1872) (Bild 2) das Grundstück und baute neu. Es war ein an der Lützowstraße nur 17m schmales, aber mehr als 150m tiefes Grundstück von insgesamt 3100 qm, auf dem Schleicher ein Wohnhaus mit dekorativer Front (Bild 3) bauen ließ, das einen sehr langen Seitenflügel bekam. Hier wurde ein Lager geplant, vermutlich auch Werkstätten für Steinmetzarbeiten, weswegen die Nachbarn dem Umbau zustimmen mussten – das taten sie. Dennoch: Zwei Jahre später, im Oktober 1892, kam es zu kollektiver Beschwerde wegen Lärmbelästigung, auch Dr. Bach, der Direktor des Falk-Gymnasiums nebenan, forderte nachhaltige Besserung.
Von Anbeginn an plante Schleicher im hinteren Teil des Geländes den Neubau eines separaten „Atelierhauses“ (Bild 4) für Künstler (Bildhauer, Maler); der Architekt war Oswald Kuhn (1846-1922). Das Haus sah – auf 4 Etagen – Ateliers für insgesamt 16 Künstler vor, wobei die Arbeitsräume im Erdgeschoß für Bildhauer/Steinmetze gedacht waren, während sich in den höheren Etagen Malerateliers befanden. Alle Ateliers hatten etwa die gleiche Größe und bestanden jeweils aus einem kleinen Geräteraum und dem Atelier selbst (ca. 7 x 5m) (Bild 5), das wie im Falle Munch, offenbar auch als Schlafraum dienen konnte. Große Fenster kompensierten den fehlenden Lichteinfall aufgrund der Hinterhof-Situation und der Ausrichtung der Atelierfenster nach Norden. Ein Ausbau des 4. Obergeschosses (1890) erlaubte weitere Räume mit Oberlicht.
Die Fassade des Ateliergebäude (siehe Bild 5) war weniger eindrucksvoll als die des Vorderhauses. Umso eindrucksvoller ist die Liste der Künstler, die hier zwischen 1890 und 1905 gearbeitet haben. Neben Edvard Munch (1863-1944) waren dies z.B. Hans Baluschek (1870-1935), Lovis Corinth (1858-1925), Walter Leistikow (1865-1908), Clara von Sievers (1854-1924) und Lesser Ury (1861-1931), um nur die prominentesten zu nennen. Die Nachfrage war offenbar so groß, dass Schleicher bereits zum 1. Juli 1890 um Baufreigabe für das Erdgeschoss bat, während die Fertigstellung des übrigen Hauses noch dauerte.
Gustav Schleicher verkaufte die gesamte Immobilie 1893 an die Berliner Spar- und Depositenbank, ohne dass sich für die Künstler an der Situation zunächst etwas änderte. 1903 erwarben die Kaufleute Baer & Brückner die Immobilie, verkauften sie aber weiter an den Unternehmer Fassbender, und der beantragte im November 1907 den Umbau des Ateliergebäudes in eine Konfitürenfabrik – mit jetzt typischer Fassade eines industriellen Gebäudes dieser Zeit (Bild 6). Das war das Ende des Atelierhauses.
Insgesamt mehr als 60 Künstlerinnen und Künstler hatten in der Lützowstraße 82 zwischen 1890 und 1905 eine temporäre Bleibe gefunden (2); sie blieben im Durchschnitt etwa vier Jahre. Für Edvard Munch war das Atelier in der Lützowstraße ausweislich seiner Biografie (3) mitentscheidend für seinen künstlerischen Durchbruch. Möge sich auch für die anderen die Einschätzung von Rudolph Goldschmidt erfüllt haben: „Der sich im Hause naturgemäß entwickelnde, collegiale Verkehr giebt besonders jüngeren Künstlern Gelegenheit, älteren und erfahreneren Künstlern bei ihrer Arbeit beobachten zu können; andererseits gewährt er ihnen auch die Möglichkeit, jederzeit einen Meinungsaustausch über die eigenen Arbeiten herbeiführen zu können“ (1).
Literatur
- Rudolf Goldschmidt. IV: Atelierhäuser. In: Berlin und Seine Bauten II und III (Der Hochbau). Berlin 1896, Seite 253-264.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Atelierhaus_Lützowstraße_82
- Ulrich Brömmling. Edvard Munch in Berlin. Morio Verlag Heidelberg 2017.
Danke für den Hinweis
Es befindet sich auch ein kleiner anachronistischer Fehler bei den Lebzeiten Munchs in der Bildunterschrift: „Edvard Munch (18163-1944)“ 🙂
Lieber Paul,
kann es sein, dass sich im letzten Abschnitt ein Fehlerchen eingeschlichen hat? Da ist die Rede von 60 Künstlern in der Lützowstraße 81,
Ansonsten wieder mal sehr interessant Gruß Hanne
stimmt, korrigiert, danke
Paul