Manchmal hat man Glück und wird nicht kritisch beäugt (Bild 1), wenn man neugierig in Hinterhöfe schauen möchte, die normalerweise verschlossen sind. Eines Morgens stand das Tor der Potsdamer Straße 93 offen und erlaubte einen Blick auf eine idyllische kleine Gartenanlage dahinter – aber ich wurde ausdrücklich gebeten, meine Fotos nicht zu veröffentlichen, zu viele würden dann klingeln und fragen.
Das Haus mit der Nummer 93 gibt es schon lange, von 1861 bis 1937 hatte es allerdings die Nummer 109, und es hatte in all den Jahren viele Eigentümer: erst der Rentier Ritschke, der es an den Kammergerichtsrat Vogel und den Schuhmacher Pietschmann vermietet hatte; da war es noch ein kleines, freistehendes zweistöckiges Haus. Vogel kauft es um 1880, aber bereits 1882 wurde es ausgebaut, gehörte dem Kaufmann Oppenheim und hatte dann sechs Mieter. Ab 1885 war der Buchhändler Spaeth Eigentümer und die Anzahl der Bewohner stieg danach auf zwölf Mietparteien, darunter ein Bankier Rothschild und ein Direktor Goldschmidt, nach wie vor aber auch Handwerker und Witwen – offensichtlich war jetzt ein Hinterhofflügel angebaut worden. Als der Buchhändler Spaeth verstarb, verkaufte seine Witwe, aber die Mieterschaft blieb gediegen. 1907 übernahm ein Bankdirektor a.D. Magdeburg das Haus, und die ersten (Immobilien-)Firmen zogen ein, außerdem Ärzte und Architekten. Ab 1922 war der Eigentümer der Deutsche Offiziersbund (DOB), dessen Rentenkasse im gleichen Haus Mieter war, und so blieb es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs – aber nicht nur der Name änderte sich, sondern auch die Ausrichtung: der jetzt Reichsverband Deutscher Offiziere genannte Verein war nach 1936 Teil der nationalsozialistischen Vereinigung Deutscher Volkskämpfer-Verbände. Ob die heutige Hinterhof-Idylle schon vor dem Krieg existierte, entzieht sich unserer Kenntnis.
Andere Hinterhöfe im Kiez geben sich nicht so spröde: In der Kurfürstenstraße 15/16 steht das Tor immer offen, aber man muß schon weit hineingehen, um die Idylle überhaupt zu entdecken, so wenig einladend ist der Zugang (Bild 2, oben); wohingegen das geheimnisvolle Tor gleich nebenan (Kurfürstenstraße 12) (Bild 2, unten), bei dem bis vor wenigen Wochen die Tür links noch nicht eingebaut war, einen eher tristen Hof verbirgt, da das Vorderhaus im Krieg zerstört wurde. Die Mauer verbirgt einige Flachbauten, die von der Schweizer Architektenfirma Herzog & de Meuron genutzt werden, die am Potsdamer Platz das Museum der Moderne (Nationalgalerie20) baut – unklar, ob die Firma das Areal Kurfürstenstraße gemietet hat oder Eigentümer ist – in jedem Fall noch eine große Nachkriegs-Baulücke im Kiez.
Als das Haus Nr. 15/16 und die Nachbarhäuser gebaut wurden (1870), hieß die Straße noch nicht Kurfürstenstraße, sondern Teltower Straße, und die reichte vom Belle-Alliance-Platz (heute: Mehringplatz) bis zur Potsdamer Straße. Die Nummerierung der Kurfürstenstraße begann stattdessen an der Potsdamer Straße in Richtung Westen und kam auf der Südseite zurück bis zur Potsdamer Straße. Mit Bau der Berlin-Potsdamer Eisenbahn 1838 und der Berlin-Anhalter Eisenbahn 1840/41 wurde die Straßenführung der Teltower Straße unterbrochen, die Nummern 20a bis 29 (im Norden) und 30 bis 44 (im Süden) lagen diesseits der Gleise und wurden 1871 der Kurfürstenstraße zugeschlagen – und alles wurde neu nummeriert
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