Man mag es späte Rache nennen, oder ausgleichende Gerechtigkeit, oder, dass am Ende die Kunst siegt über die Politik, vielleicht ist es auch nur Zufall, aber dann ist es ein schöner: Die heutige Villa Lützow (Bild 1), bunt und vielfältig wie sie ist, steht an genau der Stelle, an der zwischen 1933 und 1945 die Reichskammer der bildenden Künste residierte (1), Blumeshof 5-6, jene der Reichskulturkammer der Nazi-Regierung zugehörige Behörde, die mittels Zensur und dem Verdikt „entartete Kunst“ so vielen Künstlern nicht nur das Leben schwer, sondern vielen auch das Leben unmöglich gemacht hatte – auch dieses Bild hätte es in ihren Augen sicher schwer gehabt. Dass viele dieser Künstler gleichzeitig Juden waren, machte die Situation im Blumeshof noch dramatischer.
Der Blumeshof war eine Privatstraße, benannt nach dem Bankier Johann Carl Friedrich Blume (1819 – 1875), der dieses Stück Land zwischen der heutigen Kluckstraße und der Elisabethklinik, zwischen Schöneberger Ufer und Lützowstraße, 1862 vom Unternehmer Jungbluth gekauft hatte, der hier zuvor eine Fabrik für Eisenbahnwaggons betrieben hatte. Sechzehn Wohnhäuser entstanden dort in den nachfolgenden Jahren, und um die Jahrhundertwende (1900) wohnten im Blumeshof etwa 500 Eigentümer und Mietparteien, darunter viele Rechtsanwälte, Ärzte und Wissenschaftler, so z.B. Hans Virchow (1852-1940), Anatomieprofessor an der Charité, der Sohn des großen Physiologen Rudolf Virchow (1821 – 1902), der hier ein Arbeitszimmer hatte. Es gab einige wenige Handels- und Gewerbebetriebe, und es gab ein Theater, das Kleintheater von Paul von Schlippenbach, im Blumeshof 12. Walter Benjamins beide Großmütter wohnten zeitweise im Blumeshof 8 bzw. 12.
Das Haus mit der Nummer 15, das ehemals dem Jungbluth gehörte, kaufte 1917 die Jüdische Gemeinde von Berlin, eher wohl als Kapitalanlage, weil es in den nachfolgenden Jahren keineswegs überwiegend von jüdischen Familien bewohnt wurde, aber das änderte sich 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten schnell: die durchweg sehr großen Wohnungen wurden geteilt und mussten dann nach und nach immer mehr Bewohner aufnehmen, bis es zuletzt als „Judenhaus“ die letzte Zuflucht für viele von ihnen war, bevor sie ab 1942 deportiert wurden nach Theresienstadt oder Auschwitz.
Und schräg gegenüber, auf dem Fleck, auf dem heute die Lützow-Villa ist (Bild 2), stand das Haus mit der Nummer 5-6, ein Doppelhaus, das seit 1920 und bis zuletzt der Ackerbaugesellschaft m.b.H. gehörte und bis 1935 viele Mieter hatte. Dann zog, laut Adressbuch, die besagte Reichskammer der Bildenden Künste ein, bald schon als die einzige Mieterin, 1939 zeitweilig auch die Reichsmusikkammer, und kastrierte die Kunst:
Nach einer vom Reichsministerium für Volksaufklärung eigens erstellten Liste von 1937 wurden bis dato etwa 22.000 Kunstwerke in 100 deutschen Museen beschlagnahmt, die dann entweder vernichtet (verbrannt) (markiert mit einem X, ca. 5000 Werke), oder zu Geld gemacht wurden im Ausland durch Verkauf (V) oder Tausch (T) (2): 1122 Bilder von Emil Nolde, 818 von Erich Heckel, 777 von Karl Schmidt-Rottluff, 750 von Ernst Ludwig Kirchner, 685 von Max Beckmann, 653 von Ernst Barlach, 605 von Oskar Kokoschka, 556 von Lyonel Feininger, 516 von Max Pechstein, 503 Werke von Kurt Grosz, 408 von Otto Mueller, 373 von Otto Dix, 359 von Lovis Corinth, 262 von Wassily Kandinsky, 210 von Alexej von Jawlensky, 170 von Alfred Kubin, 150 von Franz Marc, 133 von Paul Klee, 112 von Willy Baumeister, … um nur etwa die Hälfte der Werke (10750) von nur 20 der fast 1500 Künstler zu listen (2); das farblose (braune) Jahrzehnt nahm seinen Anfang.
Literatur:
- Uwe Julius Faustmann. Die Reichskulturkammer. Verlag Shaker Aachen 1995
- Katrin Engelhart. Die Ausstellung „Entartete Kunst“ in Berlin 1938. Rekonstruktion und Analyse. In: Uwe Fleckner, Hrg. Angriff auf die Avantgarde. Kunst und Kunstpolitik im Nationalsozialismus. Akademie Verlag Berlin 2007, S.89-187.