Paul: Lia, kennst Du die Skulptur im Park am Karlsbad? Jedes Mal, wenn ich sie sehe, frage ich mich, ob ich sie mag oder nicht… Lia: Ich finde diese Skulptur nur verwirrend; sie ist nicht maskulin genug für die Nazis, zu persönlichkeitslos für moderne Kunst. Und sie wirkt willkürlich platziert! Paul: Kannst Du das malen? Lia: Ja, kann ich (Bild 1).
Gut beobachtet, Lia: Dieser „willkürliche Mann aus Metall“ gehörte eigentlich nicht hierher, weder räumlich noch zeitlich: er entstand vermutlich um 1935, drückt daher den Zeitgeist des Nationalsozialismus aus, dem sich Richard Scheibe (1879-1964) schnell verschrieben hatte. Nachdem er zunächst Berufsverbot erhielt, wurde er 1937 in Ehren in die von „entarteter Kunst“ gesäuberte Reichskammer der Bildenden Künste aufgenommen (s. mittendran vom 6.1.2023) und schuf bis zum Ende des „1000-jährigen Reiches“ 1945 viele „staatstragende“ Skulpturen, darunter einen überdimensionalen Reichsadler mit Hakenkreuz für die Reichskanzlei Hitlers oder das Monstrum Germania (1). Nach dem Krieg schien das alles vergessen zu sein: „1950 Ehrendoktor der Freien Universität Berlin, 1951 Bundesverdienstkreuz, 1954 Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main und Halskreuz des Großen Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, 1959 Ehrensenator der Hochschule für bildende Künste Berlin und Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste München … Der Westberliner Senat beauftragt Scheibe 1952 mit einem Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 1944“ (1) – wobei sich naive Betrachter dieses Denkmals an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand heute noch fragen, was eigentlich an den gefesselten Händen der Figur (Bild 2) (gleicher Typ deutschen Mannes wie in den Nazi-Jahren) Widerstand symbolisieren soll? Vielleicht die „Gebundenheit“ des Bildhauers an seine nationalsozialistischen Auftraggeber, „Widerstand zwecklos“? „Bei der „Heerschau deutscher Kunst“, der Großen Deutschen Kunstausstellung in München, ist er – mit einer Ausnahme – Jahr für Jahr vertreten. 1938 kauft Adolf Hitler dort einen seiner Denker für 10.000 Reichsmark“ (1).
Dieses passende Gedicht von Thomas Bergmann (1943-2019) aus Wagenbach´s Tintenfisch 3 (1970) stellt Arndt Beck seinem Artikel über die Kunst von Richard Scheibe (1) voran:
„Im deutschen Mann verbergen sich viele deutsche Männer. Kleine, mittlere und große deutsche Männer. Jeder deutsche Mann ist von einem Mantel aus dem nächstgrößeren deutschen Mann umgeben. Zieht man einem deutschen Mann die Haut ab, kommt stets ein deutscher Mann zum Vorschein. Jeder große deutsche Mann hält das Gemurmel der mittleren deutschen Männer in seinem Bauch für seine Seele. Jeder mittlere deutsche Mann verwechselt Geräuschlosigkeit mit Frieden. Deshalb werden die kleinen deutschen Männer schon von Kindesbeinen an zur Ruhe angehalten. So kommt es, daß der deutsche Mann als Ganzes meist unbeweglich dasteht.“ (2)
In Köln wurde eine Kopie des „Schreitenden“ 2017 von seinem Sockel im Rheinpark weggestohlen (Kölner Rundschau vom 28.10.2017) – und hoffentlich eingeschmolzen, mag man sich wünschen. Die Skulptur im Park am Karlsbad stand von 1959 bis 1989 im Gemeindepark Lankwitz und wurde an seinen jetzigen Platz als Ersatz für eine 1881 geschaffene Bronzefigur „Der Sieger von Marathon“ von Max Kruse (1854-1942), die hier stand, aufgestellt. Vielleicht wäre es einfach besser gewesen, sie gleich der Abfallverwertung zuzuführen, statt sie in unseren Kiez zu verfrachten, wo sie offensichtlich schweigt und irritiert.
- http://www.arndtbeck.com/wordpress/2009/01/richard-scheibe-staatsbildhauer/
- Klaus Wagenbach, Hrsg. Jetzt schlägt´s dreizehn. Berlin, Wagenbach Verlag 1977, S.7.