(ein Beitrag von Prof. Dr. Paul Enck, www.paul-enck.com)
Wenn man an die Dennewitzstraße denkt und daran, was es dort zu sehen gibt – im Augenblick vor allem Baustellen, nach jahrelangem Dornröschenschlaf am Rande des Parks am Gleisdreieck – fällt einem natürlich sofort die Überquerung der Straße durch die U-Bahn-Linien U1 und U3 ein, die dann in einem Haus zu verschwinden scheinen und dahinter in den Untergrund gehen – und in dessen Schatten der (heute) idyllische Hinterhof von Pohl-11 liegt (1). Die Gründe für den Bau einer Hochbahn statt der ursprünglich geplanten U-Bahn haben wir bereits erörtert (mittendran am 25.11.2020) (2), als wir die ältere, nicht mehr existente Hausdurchquerung weiter südlich, an der Martin-Luther-Kirche, besichtigt hatten; sie war im Zuge der Anlage der ersten Berliner Hochbahnstrecke 1902 entstanden.
Die Hausdurchquerung im nördlichen Teil der Dennewitzstraße (Hausnummer 2) hat dagegen eine spätere, eigene Vorgeschichte: Wie man dem Bild 1 entnehmen kann, war die Streckenführung der Linie vom Leipziger Platz nach Westen (Nollendorfplatz) oder nach Osten (Warschauer Brücke) derart, dass die Züge am Gleisdreieck (wie der Name sagt) auf die Hauptlinie fuhren – es war also notwendig für die Zugführer, auf Haltesignale zu achten, wenn zwei Züge gleichzeitig ankamen (Bild 2) (3).
Am 26. September 1908 kam es zu einem Unglück, als ein Zug, vom Leipziger Platz kommend, auf der Fahrt Richtung Warschauer Brücke von einem anderen Zug, der aus Westen kam, gerammt wurde. Ein Wagen stürzte 10 Meter in die Tiefe, 18 Menschen wurden getötet und 20 weitere verletzt (Bild 3). Der Zugführer des Zuges vom Leipziger Platz, der ein Haltesignal übersehen hatte, wurde später zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt (4).
Nach einem weiteren Unglück am 17. Mai 1911, das allerdings glimpflicher verlief, kam es zunächst 1912 zum Umbau des U-Bahnhofs Gleisdreieck als kreuzungsfreier Turmbahnhof, der ein Umsteigen erforderte. Und 1926 wurde dann eine Entlastungsstrecke für die alte Linie über den U-Bahnhof Bülowstraße eröffnet, die wiederum einen Hausdurchbruch notwendig machte, den in der Dennewitzstraße 2, diesmal auch mit ganz erheblich aufwendigerem Schallschutz als ein Vierteljahrhundert zuvor (Bild 4). Und gerade (2022) wieder werden Wohnhäuser sehr dicht an die U-Bahn herangebaut, wie vor 120 Jahren die Hochbahn.
Das Haus in der Dennewitzstraße 2 stand zu diesem Zeitpunkt schon fast 30 Jahre; es war 1877 und 1878 gebaut worden, und war bis 1915 Mietshaus, zuletzt mit 5 Mietparteien. Dann übernahm die Gesellschaft für Hoch- und Untergrundbahnen die Häuser Nr. 2 und 3, entmietete sie und baute den Durchbruch der Hochbahn und die Rampe zur U-Bahn-Station Kurfürstenstraße. 1923 war die Nr. 2 immer noch im Umbau, während Nr. 3 bereits wieder Mieter hatte, 1926, als die Hochbahnstrecke eröffnet wurde, waren in beiden Häusern wieder Mieter eingezogen.
Es gab schließlich noch eine weitere Hausdurchquerung der Hochbahn ganz in der Nähe, das Eckhaus Trebbiner Straße 1 – Schöneberger Ufer 30, nachdem die Hochbahn (heute Line 1/3) von der Station Möckernbrücke kommend den Landwehrkanal gekreuzt hatte und zum Gleisdreieck fuhr (Bild 5 links). Aber hier wurden Hochbahn und Haus gleichzeitig geplant und gebaut, beide wurden 1902 fertig. Das Haus gehörte der Hochbahn-Gesellschaft, der Baumeister war Paul Wittig (1853-1943) (5), ab 1902 hatte es Mieter, nach 1905 waren es 16 Parteien. Dieses Haus wurde im Krieg zerstört, die Berliner Verkehrsbetriebe bauten hier vor wenigen Jahren ein Verwaltungsgebäude, das nur noch entfernt an die alte Konstruktion erinnert (Bild 5, rechts).
Merke: Berliner*innen nehmen schon viel in Kauf, um möglichst zentral in der Stadt zu wohnen.
Literatur
- www.pohl11-berlin.eu
- Peter C. Lenke. So wurde Berlin erste U-Bahn Stadt Deutschlands. Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 2, 2002.
- http://www.berliner-verkehrsseiten.de/u-bahn/Strecken/Gleisdreieck/Gleisdreieck_1900/gleisdreieck_1900.html
- Heinz Gläser: Gefährliches Gleisdreieck – Das Hochbahnunglück vom 26. September 1908. Berlinische Monatsschrift 1999, Heft 9, S. 98-101
- Paul Wittig. Die Architektur der Hoch- und Untergrundbahn in Berlin. Berlin, Der Zirkel – Architekturverlag 1922