Hilflos müssen Nachbar*innen und Freund*innen mit ansehen, wie der Bürokratismus über Menschen dahin rollt. Im November 2015 – auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle – wurde am Lützowufer 6 die Notunterkunft REFUGIUM der AWO eingerichtet. Spontan gründeten Kiezbewohner*innen einen Arbeitskreis Flüchtlingshilfe Tiergarten-Süd (AKFTS), um die Geflüchteten zu unterstützen: Es gab Willkommensveranstaltungen, Kleiderspenden wurden gesammelt und verteilt, niederschwellige Sprachkurse eingerichtet, Sportaktivitäten angeboten und Vieles mehr. Es war klar, dass die Geflüchteten länger bleiben würden als normal für eine Notunterkunft/Erstaufnahme-Einrichtung vorgesehen. Die Betreiberin (AWO) erwog die Umwandlung in eine (mittelfristige) Geflüchteten-Unterkunft. Alle beteiligten Behörden tolerierten notgedrungen den längeren Verbleib der Geflüchteten. Und so wurden über die Zeit Nachbar*innen aus ihnen. Die schwierige Arbeit bei der Unterstützung begann; Hilfe bei Behördengängen, bei der beruflichen Integration, bei der schulischen und außerschulischen Betreuung von Kindern und – meist wenig erfolgreich – bei der Wohnungssuche. Dabei entstand aber mehr und mehr nachbarliche Nähe.
Jetzt hat sich das Landesamt für Flüchtlinge plötzlich entschieden, das REFUGIUM wieder nur ausschliesslich als Erstaufnahme-/Notunterkunft zu betreiben. Alle Geflüchteten, die bereits in der Betreuung der Jobcenter sind und sich daher im Prinzip selbst versorgen können, müssen ausziehen. Nach ersten Gerüchten vor drei Wochen – nun innerhalb von zehn Tagen. Die Mitarbeiter*innen des Trägers haben sich um eine Verlängerung der Wohnerlaubnis – wenigsten für Härtefälle – bemüht. Leider ohne Erfolg. Jetzt werden die Bewohner*innen in andere AWO-Heime verlegt. Auch die Familien mit Kindern, die in der Allegro-Schule erfolgreich eingeschult sind oder persönlich von Kiezbetreuer*innen intensiv unterstützt werden. Die Mitglieder des Arbeitskreises müssen mit Erschütterung feststellen, wie ihr Bemühen um Integration der Geflüchteten zunichte gemacht wird.
Da ist die Familie A, die einerseits froh ist, aus der beengten Notunterkunft auszuziehen, in der sie seit vielen Monaten mit 7 Personen in einem Zimmer zusammenleben muss, die sich aber trotzdem in unserem Kiez heimisch fühlt und hier bleiben möchte. Da ist der junge R. , der mit dem Umzug in einen anderen Bezirk auch das Job-Center wechseln muss. Nach ständigem Wechsel der Bearbeiter*innen hat er endlich eine vorläufige Zusage auf einen Bildungsgutschein für seinen fachlichen Integrations-Kurs. Er fürchtet (zu Recht), dass nun der Bewilligungsprozess wieder von vorne beginnt – und er wieder Monate auf einen Platz im Spezial-Kurs warten muss. Statt mit schneller Integration Steuerzahler zu werden, wird er weiter von Sozialhilfe abhängen. Das deprimiert ihn zutiefst. Da ist das Kind L. – schwer traumatisiert durch Krieg und Flucht, das mit Hilfe der deutschen Betreuer*in sich mittlerweile einigermaßen „normalisiert“ hat. Wie soll diese Betreuung weiter gehen, wenn die Familie an den Stadtrand verlegt wird? Da ist das Schul-Kind S, das in der Allegro-Grundschule zunächst über die Integrations-Klasse, mittlerweile in der Regelklasse, Anschluß an andere Kinder gefunden hat und auf einem guten Lernweg ist. Es wird aus seinem erfolgreichen Integrationsweg herausgerissen. Alles beginnt von vorn. Psychische Belastungen sind voraussehbar. Wie hoch werden die sozialen Kosten werden, die eine mißlungene Integration erwarten läßt?
„Die Stimmung im Heim war schrecklich… Verständnislose Menschen zwischen ihren Koffern…“ sagt eine Ehrenamtliche aus dem AKFTS.
Wird hier nicht Menschlichkeit mit Füßen getreten?
Zu dem Artikel Mitleid mit den Geflüchteten
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Das schreit doch danach, an eine größere Presse gebracht zu werden, z.B. die Zeitschrift „Stern“.
Kann ich nur dringend empfehlen.
Viele Grüße