Das Thema Urbane Mitte wird auch 2023 zu Diskussionen in unserem und den angrenzenden Kiezen führen. Entsprechend werden wir als „Kiez-Chronist*innen“ auch weiterhin Beiträge hierzu veröffentlichen.
Wir starten mit einem Jahresrückblick 2022 von Mathias Bauer
Google sagt die Vergangenheit voraus
Wer bei Google „Urbane Mitte“ als Suchbegriff eingibt, dem wird durch die Autovervollständigung der Begriff „Baubeginn“ als Ergänzung vorgeschlagen. Als Ergebnis liefert Google dann für den Südteil „Baustart in 2021/2022“, für den Nordteil soll es dann zwei Jahre später soweit sein.
Google präsentiert dies nicht als Zitat innerhalb eines Suchergebnisses, sondern so, als sei dies eine allgemeingültige Erkenntnis. Ist ein schlechter Algorithmus verantwortlich für die Fehlinformation? Oder sind es eifrige Suchmaschinenoptimierer, die Überschriften wie letztens die der Berliner Zeitung „Grünes Licht für weitere Hochhäuser am Gleisdreieck“ weiter verbreiten.
Doch bisher konnte die Fehlinformation nicht die wohl gewünschte normative Kraft entfalten. Auch im Jahr 2023 wird vermutlich nicht die Rede vom Baubeginn sein können.
Blicken wir zurück auf das Jahr 2022
Im April 2022 titelte die Immobilienzeitung „Das Projekt Urbane Mitte kommt voran“. Im Text war dann die Rede davon, dass der Anteil des Büroraums von 70% reduziert worden sei auf 50% bis 60% sowie dass man nun das Problem mit dem Regenwasser in den Griff bekommen habe. Für das dritte Quartal 2022 sei die Beschlussvorlage des Bezirks zum Bebauungsplan Urbane Mitte Süd geplant.
Im Mai wurde dann im Stadtentwicklungsausschuss des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg nach dem Stand der Bebauungsplanung für den südlichen Teil der Urbanen Mitte gefragt, die zumindest von außen betrachtet seit April 2021 auf Eis lag. Damals hatte die Initiativen in 11 Vorträgen ihre Kritiken am Vorhaben vorgetragen.
Wichtigste Information auf dieser Sitzung war, dass am Bebauungsplan inzwischen soviel geändert worden sei, dass eine dritte Auslegung der Bebauungspläne im Herbst 2022 stattfinden müsse – die bis heute jedoch nicht stattgefunden hat.
Ebenfalls im Mai stimmte die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg für einen Antrag, mit dem die Ausstellung „40 Jahre Bürgerengagement“, die in der Nähe des Poststellwerks am Bauzaun zum südlichen Baufeld der Urbane Mitte hängt, erneuert und dauerhaft mit drei aktuellen Tafeln ergänzt werden soll, mit denen dann dann die aktuellen Geschehnisse reagiert werden kann. Die Umsetzung wird dann hoffentlich im kommenden Jahr stattfinden.
Im Juli startete die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e. V. zusammen mit den Naturfreunden Berlin e.V eine Spendenaktion. Mit dem Geld soll rechtlicher Beistand finanziert werden, um die Bebauungspläne und eventuelle Baugenehmigungen rechtlich prüfen und angreifen zu können. Bisher sind bei Better-Place 5.342 € eingegangen, weitere 8.500.-€ sind direkt bei den Naturfreunden gespendet worden.
Im September organisierte die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e. V. an drei Sonntagen hintereinander die Gespräche am Bauzaun. Eingeladen waren Vertreter aus der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg und aus dem Abgeordnetenhaus der drei Parteien der Grünen, der Linken und der SPD. Thema war, wie die im Koalitionsvertrag vorgesehene Prüfung der Urbane Mitte auf „Art und Maß“ der Nutzung erfolgt ist und mit welchem Ergebnis. Die Prüfung selbst schien zu diesem Zeitpunkt noch im Gange. Die Grünen und die Linken sprachen sich mit deutlicher Bestimmtheit gegen die Umsetzung der Hochhauspläne aus, während die Vertreter der SPD die Nutzung geändert wissen wollten: „Studentisches Wohnen statt Büros“.
Ende Oktober überraschte dann der Tagesspiegel mit der Meldung, die Senatsverwaltung habe Prüfung schon im April abgeschlossen – und zwar mit einem „Weiter so“ für die sieben Hochhäuser.
An der Formulierung des Prüfungsberichts musste dann jedoch noch eine Weile gefeilt werden. Denn erst am 27. Dezember veröffentlichte die Senatsverwaltung den Bericht. Mehr dazu demnächst in einem weiteren Artikel.
Im Ergebnis hält die Senatsverwaltung an den sieben Hochhäusern fest. Hauptargument: die Lagegunst mit zwei U-Bahn-Linien und einer neuen S-Bahnlinie müssen genützt werden für hohe bauliche Dichte. Das sei die richtige Antwort auf die ökologischen Herausforderungen. Dieser Logik folgend müsste man man natürlich gleich den gesamten Park zubauen. Schließlich haben wir an der Yorckstraße S1 und S2, U7 und den M 19. Gibt es irgendwo eine bessere verkehrliche Erschließung?
Die Senatsverwaltung ignoriert offensichtlich, dass Freiflächen im Inneren der Stadt ökologische und soziale Funktionen haben. Die Funktion des Gleisdreieck als Frischluftschneise zwischen Tiergarten und südlichen Stadtrand ist seit den Gutachten zu den Bebauungsplanungen des Potsdamer und Leipziger Platz in den 1990er Jahren belegt. Die soziale Funktion ist in den letzten 10 Jahren durch die Nutzung des Parks überdeutlich geworden. Eine gemeinwohlorientierte bauliche Nutzung des 500 m langen Grundstücks an der Verbindung zwischen Ost- und Westpark müsste diese beiden Funktionen des Parks respektieren.
Am 14.12. hat die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg einen Beschluss gefasst, der wegweisend für das kommende Jahr sein könnte. Das Bebauungsplanverfahren zur Urbanen Mitte soll durch eine “umfangreiche, transparente und belastbare Prüfung mittels Gutachten von Expert*innen” überprüft werden. Ein zweiter Antrag mit der Forderung nach Einrichtung eines Runden Tisches unter Beteiligung von Initiativen und Verbänden, dessen Ergebnisse “verbindlich in die weiteren Planungen der Bauvorhaben der Urbanen Mitte” einfließen sollen, wurde in den Ausschuss überwiesen (Drucksache – DS/0527/VI sowie DS/0528/VI).
Wem gehört das Grundstück der Urbanen Mitte?
Ebenfalls im Oktober berichtete die Berliner Zeitung über den Eigentumswechsel bei der Urbanen Mitte. Im Herbst 2020, kurz vor der zweiten Auslegung des Bebauungsplans für den südlichen Teil, wurde die “Urbane Mitte” in einem Sharedeal nach Luxemburg transferiert. Im Kaufvertrag wurde ein Verkehrswert von 162 Mio. € angenommen. Der Eigentümer des Grundstücks heißt seitdem Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. Der Kauf wurde vom DLE Funds (Deutsche Landentwicklung) finanziert, der seinen Anlegern einen Marktwert von 204 Mio. € mitgeteilt hat. Dem Grundbuchamt in der Möckernstraße wurde jedoch ein Verkehrswert von 11,3 Mio. € angegeben (vermutlich um etwas Gebühren zu sparen). 142,5 Mio. € sind tatsächlich bei der UMB Beteiligungs GmbH und der TST Invest GmbH angekommen, die gemeinsam noch 11% der Urbanen Mitte Besitz S.à.r.l. halten. Der Geldfluss ist ablesbar aus den beim Bundesanzeiger hinterlegten Bilanzen der beiden Firmen.
„Spekulationsobjekt Gleisdreieckpark – Der Deal um die Urbane Mitte“
titelte Niklas Schenker von den Linken seine Anfrage im Abgeordnetenhaus, um mehr über die Hintergründe zu den verschiedene Verkehrswerten erfahren.
In seiner Antwort berichtete Staatssekretär Gaebler, dass dem Senat dazu keine Erkenntnisse vorliegen. Möglicherweise machte sich der Staatssekretär dabei sehr leicht, in dem er den kleinen Fehler des Fragestellers nutzte, der das Wörtchen „Besitz“ im Namen der Gesellschaft „Urbane Mitte Besitz S.à.r.l.“ vergessen hatte. In paar Absätze weiter wusste er jedoch dann zu berichten, dass die Projektträgerin für den Fall, dass es kein Baurecht gäbe, eine Entschädigungssumme von ca. 150 Mio. € errechnet habe.
Link zur Anfrage https://gleisdreieck-retten.de/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/S19-13704-anfrage-schenkler-bodenspekulation.pdf
Wem gehört der U-Bahnhof Gleisdreieck?
In einer weiteren Anfrage wollte Niklas Schenker wissen, was es bedeutet, dass sich nun auch der U-Bahnhof Gleisdreieck im Eigentum der Luxemburgischen Gesellschaft befindet. In der Antwort der Verkehrsverwaltung bestätigt die Verkehrsverwaltung, dass es diesen Eigentümerwechsel gab. Die bisher in den gemauerten Bögen unterhalb der U-Bahnen befindlichen Werkstätten der BVG werden nach und nach ausgelagert in die Lise-Meitner-Straße und in die Puccinistraße. Die Kosten der Auslagerung betrugen bisher 6 Mio. €. Dafür würden in Zukunft jedoch Mietkosten gespart. Im Jahr 2019 sei eine Nachbarschaftsvereinbarung mit dem Eigentümer getroffen worden, in der der Schutz der BVG-Baulichkeiten und Betriebsanlagen geregelt wurde. Die BVG plant das stählerne Viadukt der U1 zwischen U-Bhf. Gleisdreieck und Hausdurchfahrt an der Dennewitzstraße im Jahr 2025 auszutauschen. Hier bestehe ein gewisser Zeitdruck, denn nach dem Bau der Hochhäuser wäre dies wesentlich schwieriger.
Link zur Anfrage: https://gleisdreieck-retten.de/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/anfrage-bvg-S19-13941.pdf
Die Vorbereitungen für den Austausch des Viadukts der U1 haben tatsächlich schon begonnen. Auf dem Bild ist zu sehen, wie die südliche Kurve des Gleisdreiecks, die seit dem Unfall im Jahre 1908 ohne Funktion war, wieder für den Fahrbetrieb mit einem Gleis ausgestattet wurde. Der Tagesspiegel schrieb im September, dass dann über diese Kurve während der Bauarbeiten die U1 auf die Strecke der U2 geleitet würde. Die Pressstelle der BVG widerprach jedoch dieser Darstellung, das neue Gleis würde nur für Überführungen von Zügen genutzt werden.
Zuerst veröffentlicht in gleisdreieckblog
Als nächsten Beitrag veröffentlichen wir die Pressemitteilung des Senats für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen