Reisen und Kultur – das ist das Grundangebot von Susanne Storm aus unserem Kiez. Aber sie ist vor allem auch erfahrene Stadtführerin in Berlin. Sie möchte uns gerne mit ihrer Leidenschaft für Berlin anstecken, schreibt sie auf ihrer Website https://reisen-kultur.de. Und sie kennt natürlich die Kulturstätten in unserem Kiez. Wir haben sie eingeladen auf unserem Blog einen „Rundgang ums Kulturforum“ zu machen. So wird sie uns in den nächsten Monaten ihre Sicht auf das Tiergartenviertel und vieles mehr präsentieren:
Vom Tiergartenviertel zum Kulturforum
(ein Beitrag von Susanne Storm, Reisen + Kultur)
Ein Rundgang über das Kulturforum macht es deutlich: Bis heute ist es nicht fertig geworden. Eigentlich würde man bei der Bezeichnung „Kulturforum“ an ein zusammenhängendes Ensemble denken – was wir sehen, sind lauter Solitäre, die irgendwie nicht zusammen gehören.
(alle Fotos:bse)
Die weltweit bekannte Philharmonie – Vorbild für so viele Konzertsäle weltweit -, der Kammermusiksaal sowie das Musikinstrumentenmuseum, die fantastische (fast fertig sanierte) Neue Nationalgalerie, die Gemäldegalerie der Alten Meister mit einer der weltweit bedeutendsten Sammlungen europäischer Malerei vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, Kunstgewerbemuseum und Kupferstichkabinett sowie die Staatsbibliothek – hier findet sich ein kultureller und wissenschaftlicher Reichtum, wie man ihn selten findet. Wenn nun noch das Museum der Moderne hinzu kommt, dann ist zu hoffen, dass der Ort endlich die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient.
Aber schauen wir zurück ins 19. und 20. Jahrhundert. Das alte Tiergartenviertel war damals schon eine Insel der Wissenschaft, der Kunst und Kultur, der Politik und nicht zuletzt natürlich des Kapitals. Nur war es hier sicher lebendiger als am heutigen Kulturforum.
Das Tiergartenviertel
Seinen Namen hat das Viertel vom Großen Tiergarten. Nördlich wurde das großbürgerliche Viertel von den Grünanlagen bis zur Tiergartenstraße begrenzt, dort, wo die Botschaften der Reichshauptstadtplanung entstanden. Der Landwehrkanal bildete die südliche Grenze. Und im Osten schloßen sich die Bauten des Potsdamer Platzes an. Der erste Bahnhof Berlins wurde 1838 hier eröffnet, hier kaufte man ein, hier ging man aus, saß in Cafés oder Tanzsälen.
Anfangs aber war diese Gegend eher ländlich geprägt, es war ein Ausflugsgebiet vor den Toren der Stadt. Unter Friedrich-Wilhelm III. wurden Bebauungspläne genehmigt und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand hier eine großbürgerliche Wohngegend. Attraktiv war die zentrale Lage zwischen dem alten Berlin, Charlottenburg und Schöneberg. Das wilhelminische Berlin gab dem Viertel den Namen „Untere Friedrichstadt“.
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Wenige Gebäude aus dieser Zeit stehen noch. Die 1846 eingeweihte Matthäuskirche von August Stüler, einem Schinkel-Schüler, gehört dazu. Ihr Standort hängt damit zusammen, dass sich hier im südlichen Teil des Tiergartenviertels Unternehmer, Wissenschaftler, Künstler und Beamte niederließen. Deren ursprüngliche Gemeinde, die Dreifaltigkeitskirche, lag zu weit entfernt und so wurden Spenden für eine neue Kirche gesammelt.
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Machen wir einen Spaziergang vor 100 Jahren über das heutige Kulturforum: Wir hätten der Schauspielerin Tilla Durrieux – die bis zu ihrer Emigration an den großen Bühnen dieser Stadt auftrat – und ihrem Mann, dem Verleger und Galeristen Paul Cassirer und seinem Bruder Bruno begegnen können. Ludwig Hoffmann, der vermutlich mehr als jeder andere Architekt in Berlin gebaut hat und Ernst E. von Ihne – Lieblingsarchitekt Kaiser Wilhelm II. – lebten im Tiergartenviertel. Viele Frauenrechtlerinnen und Schriftsteller/innen waren im Salon von Hedwig Dohm zu Gast. Die Maler Adolph von Menzel und Anton von Werner, der Unternehmer Emil Rathenau, der Verleger und Galerist Herwarth Walden, Georg Kolbe und Max Liebermann, der Kunsthändler Alfred Flechtheim und viele andere mehr prägten das Tiergartenviertel.
Hinzu kamen zahlreiche innovative Galerien, private Sammlungen und Kunstvereine. Ohne dieses Viertel ist die Moderne in Berlin nicht zu denken. Die ersten französischen Impressionisten wurden hier präsentiert und verkauft – die Kunst des Erbfeinds Frankreich – was dem Kaiser damals natürlich nicht gefiel.
Bevor die Büste der Nofretete ins Neue Museum kam, stand sie im Haus des Unternehmers James Simon (heute: Baden-Württembergische Landesvertretung),
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der einer der bedeutendsten Kunstmäzene seiner Zeit war. Sein Haus hatte er zu einem Privatmuseum gemacht. Er arbeitete eng mit Wilhelm von Bode zusammen, finanzierte Ausgrabungen im Vorderen Orient und spendete den Museen unzählige Kunstwerke. Nicht zuletzt war er Gründer und Finanzier zahlreicher wohltätiger Einrichtungen. Die Nazis löschten die Hinweise auf alle Schenkungen von Simon – und so wurde der Name auch aus dem Gedächtnis der Stadt Berlin für lange Zeit getilgt. Heute wird er glücklicherweise durch den Bau der James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel angemessen geehrt.
Die architektonische Zerstörung des alten Tiergartenviertels hängt keineswegs nur mit dem 2. Weltkrieg zusammen, sondern begann bereits mit der Planung von Albert Speers „Welthauptstadt Germania“, die tiefgreifende Veränderungen in diesem Gebiet vor hatte. Zahlreiche Villen wurden abgerissen, jüdische Besitzer zwangsenteignet. Platz für die Nord-Süd-Achse und den „Runden Platz“ wurde durch den umfangreichen Abriss im östlichen Teil des Tiergartenviertels geschaffen. Dort, wo die Botschaften der Achsenmächte Japan und Italien gebaut wurden, entstand das neue Botschaftsviertel.
Das Haus Tiergartenstraße 4 wurde von dem Bankier und Kunstmäzen Valentin Weisbach gebaut und u.a. an den Auktionator und Kunsthändler Paul Graupe vermietet. Die Nationalsozialisten nutzten diese Villa als Sitz der sogenannten „Aktion T4“.
Von hier ging die systematische Ermordung von mehr als 100.000 Psychiatriepatienten und Menschen mit Behinderungen aus. Es war der zivilisatorische Absturz des Tiergartenviertels. Heute steht dort die Philharmonie und seit 2014 auch ein Gedenkort zur Aufarbeitung der Euthanasieverbrechen.
Die Beschäftigung mit dem Kulturforum, bzw. mit dem alten Tiergartenviertel macht einmal wieder die Lücken, die die Grauen des Nationalsozialismus hinterlassen haben, deutlich. Im 2. Weltkrieg wurden viele weitere Gebäude durch die Luftangriffe zerstört, Ende der 50er Jahre begann der Wiederaufbau – mit dem Namen „Kulturforum“.