Wie kam es zum Kulturforum?

(ein Beitrag von Susanne Storm, Reisen + Kultur)

Was genau ist eigentlich das „Kulturforum“? Selbst viele Berliner wissen nicht, wo sie das einordnen sollen. Es geht um ein Stadtgebiet in Tiergarten – zwischen Großem Tiergarten, Landwehrkanal und Potsdamer Platz. Ein Teil des großbürgerlichen alten „Tiergarten-Viertels“, von dem nach dem zweiten Weltkrieg so gut wie nichts übrig geblieben war, zu Mauer-Zeiten am Rand der West-Berliner City gelegen.

Urbane Leere am Kulturforum (Foto:bse)

Ich habe das Kulturforum irgendwie immer gemocht. Weil ich mich während des Studiums in den Räumen der Staatsbibliothek so wohl gefühlt habe, weil ich wunderbare Konzerte in der Philharmonie und  im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie besucht habe und zahlreiche beeindruckende Ausstellungen in den Museen besuchen durfte.

Sobald ich aber eines dieser Gebäude verließ, spürte ich eine Leere, die nicht zum Verweilen einlud. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Trotz der bedeutenden Einzelbauten namhafter Architekten hat sich hier nie ein identitätsstiftender Ort entwickelt.

Wie aber kam es zur Entstehung des Kulturforums?  Nach der Zerstörung des alten Tiergartenviertels durch die Germania-Hauptstadtplanung und den 2. Weltkrieg gab es bereits 1946 die Überlegung eines „geistigen Bandes der Kultur“ im „Kollektivplan“ von Hans Scharoun. Der Architekt war Stadtrat und Leiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen in Berlin. Ende der 50er Jahre wurde diese Idee im Rahmen des Wettbewerbs „Hauptstadt Berlin“ weiter verfolgt. Die Brache im Tiergartenviertel sollte – mit der Museumsinsel im Ostteil der Stadt – zu einem neuen kulturellen Zentrum von ganz Berlin werden, ein in Ost-West-Richtung verlaufendes „Kulturband“ war geplant.  Man ging damals noch von einem zukünftigen Gesamt-Berlin und nicht von der Teilung der Stadt aus.

Urbanes Kleinod: St.Mathäus-Kirche (Foto:bse)

Zunächst begann man nach 1945 damit, die Ruinen im alten Tiergartenviertel abzuräumen. Isoliert stand zuletzt nur noch die St. Matthäus-Kirche am Matthäikirchplatz. Der Bau vom Architekten Friedrich August Stüler, 1846 eingeweiht, wurde Ende der 1950er Jahre durch Jürgen Emmerich, trotz schwerer Kriegsschäden, außen wiederhergestellt. Innen wurde die Kirche ausgesprochen stilsicher modernisiert, aber dazu in einem späteren Beitrag mehr.

Der westliche Teil des Tiergartenviertels war weiterhin als Botschaftsviertel vorgesehen. Dass man dies durch die Teilung der Stadt doch nicht benötigte, hat sich erst später herausgestellt. Die Gegend am Rande des Tiergartens verödete zu Mauer-Zeiten, sie war wie eine Leerstelle in der Stadt, es gab kaum Gründe, dorthin zu gehen oder zu fahren. Die zerstörte Italienische sowie die Japanische Botschaft standen noch, die ehemalige Krupp-Verwaltung (heute Canisius-Kolleg) sowie die Ruinen der im historistischen Stil gehaltenen Wohnhäuser, in denen heute die Estnische und die Griechische Botschaft untergebracht sind.

Was man nicht vergessen darf – es gab im westlichen Teil der Stadt nach dem Krieg keinen großen Konzertsaal, zu wenig Bauten für Museen und außerdem keine große Staatsbibliothek. All diese Institutionen lagen im historischen Zentrum der Stadt, vom Krieg zwar in Mitleidenschaft gezogen – aber sie wurden, bis auf das Neue Museum, wieder aufgebaut. Die Ruine der alten Philharmonie in der Bernburger Straße im Westteil der Stadt wurde abgerissen.

Urbaner Neuanfang: Die Berliner Philharmonie (Foto:bse)

So entschied sich der Westberliner Senat dann auch 1959 dazu, die Philharmonie nicht, wie ursprünglich geplant, in der Bundesallee zu bauen, sondern am südlichen Rand des Tiergartens, inmitten einer großen Brache, auf der lediglich die St. Matthäus-Kirche stand. Hans Scharoun hatte den Wettbewerb gewonnen. Der Architekt war übrigens vor dem 2. Weltkrieg Professor für Architektur an der Breslauer Akademie, die einer der wichtigsten Orte der Moderne in den 20er Jahren war. Scharouns Idee für die Philharmonie war die des demokratischen Bauens. Jeder soll gut hören und sehen können. Völlig neu auch, dass die Bühne im Zentrum des Baukörpers steht.

Hans Scharoun war nicht nur Architekt, sondern auch Stadtplaner. Und so kann man, wenn man über das Kulturforum läuft, die städtebauliche Gestaltung der 60er Jahre noch heute spüren. Es war die Vision einer locker bebauten Stadtanlage mit Begrünung, zu der die Philharmonie auch gehören sollte. Scharoun entwarf diese städtebauliche Vision im Zusammenhang mit seinem siegreichen Entwurf für die Staatsbibliothek (1963/64).

In der Mitte des Kulturforums war ein „Senatsgästehaus“ geplant und auf der westlichen Seite, leicht ansteigend, die Museen. Die Staatsbibliothek sollte das Kulturforum in östlicher Richtung begrenzen. Dahinter, man hat es schon lange vergessen, war eigentlich der Verlauf der Westtangente, mit der die Innenstadt umfahren werden sollte, vorgesehen.

Baubeginn für die Staatsbibliothek war das Jahr 1967. Hans Scharoun konnte die Arbeiten nicht zu Ende führen, er verstarb 1972. Sein langjähriger Mitarbeiter Edgar Wisniewski führte die Arbeit weiter aus. 1978 wurde die Bibliothek, die mir immer ein wunderbarer Raum zum Studieren war, eröffnet. Edgar Wisniewski entwarf außerdem – nach Ideen Scharouns – den Kammermusiksaal der Philharmonie. Der Bau wurde in den Jahren 1984 – 87 ausgeführt. In den Jahren davor hatte Wisniewski in nordöstlicher Richtung, neben der Philharmonie, das Institut für Musikforschung sowie das Musikinstrumentenmuseum gebaut.

Neue Nationalgalerie, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

Zwischen 1965 und 1968 entstand darüber hinaus, unabhängig von Scharouns Planungen und südlich von der Philharmonie die Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe, eine Ikone der modernen Architektur.

1966 wurde Rolf Gutbrod mit den Planungen für die Museen beauftragt. Vorausgegangen war ein Wettbewerb Mitte der 60er Jahre, der kein zufriedenstellendes Ergebnis brachte. Die Gesamtkonzeption von Gutbrod – er plante einzelne, um einen Hof gruppierte Baukörper für die Museen – als auch das 1985 fertiggestellte Kunstgewerbemuseum geriet in die Kritik. Das hatte zur Folge, dass Planung und Bautätigkeit gestoppt wurden. Zwischendurch gab es noch einen siegreichen Wettbewerbsentwurf von Hans Hollein, der ebenfalls nicht ausgeführt wurde, bis dann die Architekten Heinz Hilmer und Christoph Sattler den Auftrag bekamen, die Gemäldegalerie zu bauen. 1998 wurde das Museum eröffnet. Ein Bau, der äußerlich kaum auffällt, die Alten Meister aber in seinen perfekt dafür gestalteten Räumen wunderbar präsentiert.

Potsdamerstraße: mehr Trennendes als Verbindendes (Foto:bse)

Letztlich wurde das städtebauliche Konzept Scharouns nie vollendet. Der Ausbau der Potsdamer Straße zerschnitt das Kulturforum, die Westtangente wurde nicht verlängert und das von Hans Scharoun angedachte und von seinem Partner Edgar Wiesnewski weiter entwickelte Künstler-Gästehaus wurde nie gebaut. Die dabei geplanten Läden, Galerien, Restaurants und Cafés fehlen am Kulturforum völlig, d.h., es verfügt über wenig Aufenthaltsqualität, es sei denn, man hält sich in einem der großen Museen und Konzerthäuser auf.

Nach dem Fall der Mauer hat sich die Umgebung in östlicher Richtung durch die Bebauung des Potsdamer Platzes völlig verändert. Es entstand ein neues Stadtquartier, mit Wohnungen, Büros, Gewerbe, Gastronomie, Kultur und einem großen Verkehrsknotenpunkt. Die Bebauung dieser riesigen Brache hätte zur Belebung des Kulturforums führen können. Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt. Eine Durchwegung der Staatsbibliothek vom Marlene Dietrich Platz zum Kulturforum wurde verhindert. Es gibt bis heute keine prominente Werbung für die naheliegenden Museen – nicht einmal auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße. Spaziert man vom Potsdamer Platz diese überbreite Tangente herunter schaut man in erster Linie auf die jahrzehntelange Brache des Kulturforums. In seiner Mitte ist bis auf eine Imbiss-Bude und trauriger Baumbestand nichts zu sehen, was einen neugierig machen würde. Ich kann mich nicht erinnern, dass dieser Platz jemals schön gestaltet war. Es standen einige Skulpturen darauf – und mir taten die Künstler eigentlich immer leid, weil ich die Präsentation als so lieblos empfunden habe. Jetzt, wo man die Skulpturen in die Neugestaltung des Kulturforum integrieren könnte, werden sie weggeräumt. Die Stiftung hat keine Verwendung für sie. Man habe sie nur als „temporäre Maßnahme“ aufgestellt.

Der Bau des Museums beginnt (Foto:SuSt)

2015 begannen die Planungen für den Neubau eines Museums der Moderne. Den von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ausgelobte Wettbewerb gewann der Entwurf der Architekten Herzog & de Meuron. Dort, wo einst Scharouns Gästehaus vorgesehen war, soll nun ein viel diskutierter und auch umstrittener Entwurf des Schweizer Architekturbüros entstehen. Schaut man sich den vorschnell als „Scheune“ kritisierten Entwurf genauer an, zeigt sich, wie sensibel sich das Architektenteam an den Bauten der Umgebung orientiert. Denn die St. Matthäus-Kirche stand bei der modernen Ziegelfassade des Museums Pate und die, die das Scheunendach gerne ins Lächerliche ziehen, vergessen den Bezug auf das Zeltdach der Philharmonie. Es lohnt sich, das Modell im Eingangsfoyer des Kulturforums einmal genauer anzuschauen. Natürlich geht es aber bei der öffentlichen Diskussion auch um die Kosten. Die Bausumme wird mit 450 Mio. veranschlagt. Hört man so viel Kritik, wenn es um den Ausbau von Autobahnen geht?

Auf jeden Fall steht das Kulturforum wieder mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Ich denke, das ist dringend nötig, denn nach wie vor ist mir völlig unverständlich, wie sehr die Stadt ihre Schätze an diesem Standort vernachlässigt. Warum werden die Museen nicht ausreichend beworben und warum sehen wir seit vielen Jahren dort keine großen Sonderausstellungen mehr? Schlecht besuchte Museen – im Vergleich zu anderen großen Städten sind sie das – können wir uns eigentlich nicht leisten. Berlin lebt auch von seinem beeindruckenden kulturellen Angebot.
Meine Erfahrung ist, dass die Besucher von der Galerie der Alten Meister, dem Kupferstichkabinett, dem Kunstgewerbemuseum oder der Neuen Nationalgalerie immer völlig begeistert sind. Gleichzeitig wundern sie sich über diese wenig einladende Stadtlandschaft und ebenso darüber, dass die Museen nicht so bekannt sind, wie es ihre Sammlungen eigentlich verdienen – ich nehme mal die Neue Nationalgalerie davon aus. Auf deren Wiedereröffnung im August diesen Jahres können wir uns schon sehr freuen und das geplante Museum der Moderne wird sicher einen völlig neuen Akzent am Kulturforum setzen. Man kann gespannt sein und hoffen, dass all das diesem Quartier neuen Aufschwung gibt

 

Zur Autorin: Reisen und Kultur – das ist das Grundangebot von Susanne Storm aus unserem Kiez. Aber sie ist vor allem auch erfahrene Stadtführerin in Berlin. Sie möchte uns gerne mit ihrer Leidenschaft für Berlin anstecken, schreibt sie auf ihrer Website https://reisen-kultur.de. Und sie kennt natürlich die Kulturstätten in unserem Kiez. Wir haben sie eingeladen auf unserem Blog in diesem Jahr einen „Rundgang ums Kulturforum“ zu machen. 

 

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