(ein Gastbeitrag von Volker Kreibich)
„Wir bleiben hier!“ Was tut der Bezirk gegen Wohnungsspekulation und Mieterverdrängung?
Jetzt hat die Verdrängungswelle auch unseren Kiez erfasst. Miethäuser werden von Kapitalinvestoren aufgekauft, aufwendig modernisiert und in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die Mieter haben dann zwar noch für sieben Jahre ein Bleiberecht, müssen sich aber mit steigenden Mieten an den Modernisierungskosten beteiligen. Wenn sie die Mietsteigerungen nicht tragen können, müssen sie auf dem extrem angespannten Berliner Wohnungsmarkt eine neue Wohnung suchen. Sie werden häufig an den Stadtrand verdrängt.
Spektakulär war der Fall des Eckhauses an der Genthiner- und Lützowstraße, das ein international operierender Kapitalinvestor vor knapp zwei Jahren aufkaufte. Die 100 Mietparteien konnten sich nur mit dem Mietrecht wehren. Viele gaben trotz engagierter Unterstützung durch das Stadtteil-Forum, den Mieterverein und andere ehrenamtliche Helfer angesichts der bevorstehenden Mietsteigerung und der Umsetzung in Übergangswohnungen auf.
Soziale Erhaltungsverordnungen zur Ausweisung von Milieuschutzgebieten
Einschränkungen und Auflagen für Investoren sind Eingriffe in den Markt und in verfassungsrechtlich garantierte Eigentumsrechte. Sie brauchen daher eine eigene Rechtsgrundlage und politische Legitimation. Das Mietrecht begrenzt Mietsteigerungen nach Modernisierung auf 11%, erweist sich aber als stumpf bei der Verhinderung von Verdrängungsspekulation.
Zur Vermeidung von Verdrängung liefert das Städtebaurecht eine rechtliche Grundlage für Maßnahmen, die dem „Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ dienen (§172 Abs. 2, BauGB):
„(1) Die Gemeinde kann in einem Bebauungsplan oder durch eine sonstige Satzung Gebiete bezeichnen, in denen […] zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung […] der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen.“
Auf dieser rechtlichen Grundlage können die Berliner Bezirke in Abstimmung mit dem Senat, der dafür eine detaillierte Handlungsleitlinie vorgab, soziale Erhaltungsverordnungen‘ zur Ausweisung von ‚Milieuschutzgebieten‘ erlassen. Dabei wird ein baurechtliches Instrument zur Umsetzung sozialpolitischer Ziele eingesetzt, weshalb in den Begründungen immer das Ziel der Erhaltung und behutsamen Weiterentwicklung der städtebaulichen und sozialen Infrastruktur angeführt wird.
In Berlin wurden inzwischen fast 50 Milieuschutzgebiete ausgewiesen, davon fünf im Bezirk Mitte (alle in Moabit und Wedding).
In Milieuschutzgebieten müssen der Abriss, die Zusammenlegung und die Modernisierung von Wohnungen vom Bezirksamt genehmigt werden. Die Wohnungsmodernisierung ist nur zulässig, wenn sie den zeitgemäßen Ausstattungsstandard bzw. bei energetischer Modernisierung die Mindestanforderungen der Energieeinsparungsverordnung nicht übersteigt. Nach der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen dürfen diese 7 Jahre lang nur an ihre Mieter veräußert werden.
Der Eigentümer muss die Durchführung einer genehmigungspflichtigen Maßnahme beim Bezirk beantragen und dabei die Wohnungsmieten vor und nach der Durchführung angeben. Das Stadtplanungsamt des Bezirks informiert daraufhin die Mieterberatung über die Antragstellung und diese wiederum die betroffenen Mietparteien.
Als Prüfkriterium für die Genehmigung von Modernisierungen dient die sog. Verordnungsmiete, die auf einem gebietsspezifischen Mietspiegel basiert, der bei den Voruntersuchungen statistisch fundiert erhoben wird.
Die Abwendungsvereinbarung
In den Milieuschutzgebieten wird bei der vorgeschriebenen Anhörung des Käufers einer Immobilie zuerst geprüft, ob dieser sich verbindlich verpflichtet, die Ziele des Erhaltungsgebiets einzuhalten. In diesem Fall schließt der Bezirk mit dem Investor eine Abwendungsvereinbarung zum gesetzlich möglichen Vorkaufsrecht ab.
Den ersten Vertrag dieser Art handelte der Bezirk Mitte im Januar 2018 mit dem Käufer des Eckhauses an der Amsterdamer Str. 14 und der Malplaquetstraße 25 im Milieuschutzgebiet Leopoldplatz aus. Die Vereinbarung schützt die 29 Mietparteien für die nächsten 20 Jahre vor der Umwandlung ihrer Miet- in Eigentumswohnungen und vor Modernisierungsumlagen, die die Nettokaltmiete über 5,50 bis 6,50€/qm (je nach Wohnungsgröße) steigern würden. Der Vertrag ist mit Vertragsstrafen bewehrt.
Falls das Vorkaufsrecht angewendet worden wäre, hätten die Wohnungsbaugesellschaft Mitte WBM oder die Mietergemeinschaft AmMa65, die von zwei Wohnungsbaugenossenschaften unterstützt wird, bereit gestanden, das Gebäude zu den Bedingungen der sozialen Erhaltungssatzung zu erwerben.
Das bezirkliche Vorkaufsrecht
Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgte im Bezirk Mitte zum ersten Mal im Februar 2018 im Milieuschutzgebiet Birkenstraße, um den Verkauf des Wohn- und Geschäftshauses in der Rathenower Str. 50 mit 15 Mietwohnungen abzuwenden. Der ursprüngliche Kaufinteressent war nicht bereit, eine Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen, so dass der Bezirk von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machte und das Gebäude zum Verkehrswert zugunsten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) erwarb.
In der Begründung wurde wiederum die „Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus städtebaulichen Gründen“ und „der Berliner Mischung der bunten Kieze […] – gerade in Mitte, das besonders stark von der Gentrifizierung und gesellschaftlichen Umbrüchen betroffen ist“ angeführt.
Das Verfahren zur Ausweisung von Milieuschutzgebieten
Die Ausweisung von Milieuschutzgebieten durch den Bezirk erfolgt nach den gesetzlichen Vorgaben in vier Schritten:
– Grobscreening des gesamten Bezirks zur Ermittlung potentieller Gebiete für den Erlass einer Erhaltungsverordnung (sog. Verdachtsgebiete) anhand statistischer Untersuchungen mit bereits vorliegenden Daten.
– Vertiefende Untersuchung zur Ermittlung von Teilgebieten, in denen die Voraussetzungen für den Erlass einer Erhaltungsverordnung vorliegen. Auf der Grundlage einer Haushaltsbefragung mit ca. 1.200 auswertbaren Interviews werden Indikatoren zur Abschätzung von Aufwertungspotential, Aufwertungsdruck und Verdrängungspotential gebildet.
– Steckbriefe für Verdachtsquartiere (sog. Auswertungsquartiere)
– Auswahl geeigneter Gebiete
Das aufwendige und kostenintensive Verfahren wird im Auftrag des Bezirks von spezialisierten Stadtforschungsinstituten durchgeführt.
Wann werden in Tiergarten-Süd Milieuschutzgebiete ausgewiesen?
Ein Grobscreening wurde in Tiergarten-Süd bereits im Jahr 2014 durchgeführt. Es ergab für den sog. Planungsraum Körnerstraße ein hohes und für die beiden Planungsräume Lützowstraße und Stülerstraße ein mittleres Verdrängungspotential. Die Planungsräume Körner- und Lützowstraße wurden nach der Bewertung aller Indikatoren als Beobachtungsgebiete eingestuft.
Seitdem verstärkten sich im gesamten Stadtteil der Aufwertungsdruck und die Verdrängungsprozesse weiter, so dass der Bezirk, auch auf Drängen des Stadtteil-Forums, im vorigen Jahr beschloss, endlich vertiefende Untersuchungen für den Erlass von Erhaltungssatzungen durchzuführen. Der Auftrag wurde bereits vergeben, die Ergebnisse werden nach der Sommerpause vorliegen.
Was bringt der Milieuschutz?
Der Erlass sozialer Erhaltungssatzungen und die Ausweisung von Milieuschutzgebieten sind keine Wunderwaffe gegen Luxusmodernisierung, Wohnungsumwandlung und Verdrängung alteingesessener Mieterhaushalte. Die wachsende Zahl erfolgreich abgeschlossener Abwendungsvereinbarungen kann aber als Indiz für Handlungsspielräume gesehen werden, die auch auf einem hart umkämpften Markt bestehen und von entschlossen agierenden Verwaltungen genutzt werden können. Die ausgeübten Vorkaufsrechte werden ihre abschreckende Wirkung auf spekulativ vorgehende Investoren nicht verfehlen. Wäre das Gebiet Tiergarten-Süd vor dem Verkauf des Hauses Genthiner-/Lützowstraße bereits als Milieuschutzgebiet ausgewiesen gewesen, hätte die Modernisierung über die Erfordernisse einer regulären Instandhaltung hinaus eventuell abgewendet werden können.