Klar hatte ich mich vorbereitet, und wer weiß schon, wie das Interview gelaufen wäre, hätte ich das nicht, aber eigentlich habe ich meine Fragen kaum loswerden können und habe dennoch mehr erfahren, als ich erwartet hatte. Gebeten hatte ich um den Termin, weil ich in der Geschichte zu „Möbel Hübner“ (in der Mittendran-Printausgabe Winter 2023 und im Blog am 29. Februar 2024) ein paar Lücken füllen wollte. Und wie immer in solchen Fällen, werfen Antworten auf alte Fragen neue Fragen auf.
Getroffen habe ich in seinem Büro im Möbelhaus einen überaus agilen und höchst kommunikativen älteren Herrn, der in einem Monat seinen 84. Geburtstag feiert, dem man diese Jahre nicht anmerkt, und der, angesprochen auf die Geschichte von Möbel Hübner, übersprudelt von Geschichten und Geschichtchen seiner Familie, angefangen bei seinem Großvater, Emil Türklitz (1871-1956) aus Brandenburg. Dieser erbte ein Möbelgeschäft von seinem Onkel und eine Tischlerei von seinem Vater, und expandierte das Geschäft nach Berlin, wo sein Sohn Arno (1911-1993) auf die Gertrud Hübner (1914-2017), Tochter des Karl Hübner traf und sie 1935 heiratete – in überaus schwierigen Zeiten, über die ein andermal berichtet werden soll. Die strikt ablehnende – konservative – Haltung des alten Hübners gegenüber den Nationalsozialisten verhinderte eine Militärkarriere seines Schwiegersohnes in spe Arno, was dem vermutlich am Ende des 2. Weltkriegs das Leben rettete und den Aufstieg der Firma Hübner unter der Leitung von Arno Türklitz in Berlin begünstigte. Was aber möglicherweise auch den tragischen Tod Karl Hübners 1945 nach sich zog, als sich dieser in der russischen Kommandantur über die niederträchtige Behandlung (Vergewaltigung) der Frauen durch russische Soldaten beschweren wollte – er wurde Tage später tot in der Nähe des Geschäftes aufgefunden, die Sterbeurkunde bescheinigt Tod durch Granatsplitter am 29. April, drei Tage vor Kriegsende, aber es gibt keine Augenzeugen und die Familie ist überzeugt, dass er erschossen wurde.
Angesprochen auf seine Kindheit und Jugend erzählt Achim T., dass er die Kriegsjahre (1942-1945) mit Mutter und Geschwistern bei einer Tante in der Nähe von Magdeburg, während sein Vater in Paris für die deutsche Besatzer unter anderem Munitionskisten anfertigte. Schließlich kam er kurz vor Kriegsende nach Berlin, wo die Familie zunächst in ihrer Villa in Dahlem wohnte; hier nahm die Mutter nach Kriegsende einen Frauenarzt mit Praxis in die Villa auf, um diese vor der Enteignung zu schützen. Im November 1945 kam sein Vater aus der Kriegsgefangenschaft, Januar 1946 mussten sie die Villa verlassen und zogen zur Großmutter Helene Hübner in den 4. Stock des Möbelgeschäftes, bevor die Familie in die Villa in der Gelfertstraße in Berlin-Dahlem zurückkonnte. Abitur machte er am Walther Rathenau-Gymnasium in Berlin-Grunewald, eine anschließende Banklehre (nicht wie noch sein Großvater eine Tischlerlehre) bei der Deutschen Bank, er setzte seine kaufmännische Ausbildung in den USA fort, und begann in Berlin einen Möbelgroßhandel (keinen Einzelhandel, „da braucht man Manieren, im Großhandel geht es anders zu„), der sich international präsentierte, bis nach Japan – so dass er Japanisch lernte und noch heute spricht, neben Englisch, Französisch und Italienisch, und zur Zeit noch Portugiesisch hinzu lernt.
Nach einer dreiviertel Stunde klingelt das Telefon (Bild 2) – er ist zwar nicht mehr im operativen Geschäft von Möbel Hübner, er hat die Leitung 2008 seinem Sohn Albert übertragen, anlässlich des 100. Jubiläums der Firma Möbel Hübner. Und eingedenk der Schwierigkeiten beim Generationswechsel in Familienbetrieben (auch in der Türklitz-Firmengeschichte) hält er sich auch daran. Aber es gibt offensichtlich auch sonst noch viel zu tun, nebst Freizeitsegeln und Golfspielen, Sprachen lernen beispielsweise, Konsul-Funktionen ausüben, Geld verwalten.
Ich denke, die vermeintlich jüdische Herkunft der Familie (mittendran vom 29. Februar 2024) ist vom Tisch, aber systematische genealogische (familiengeschichtliche) Forschung ist Sache der Türklitz nicht. Familiengeschichte wird stattdessen in einzelnen Briefen und Dokumente von Generation zu Generation weitergereicht – von denen ich dann drei in Kopie mit auf den Heimweg bekam: Emil an Achim 1954, Arno 1993, Achim an seinen Sohn Christian 2021. Vergleicht man die Familiengeschichte aus diesen drei Perspektiven, ergeben sich überraschende (oder auch: nicht überraschende) Übereinstimmungen: Strebsame, pragmatisch denkende Kaufleute mit Sinn für das Machbare, Vernünftige, Reelle. Möbel sind zwar der Hintergrund der Firma, aber nicht mehr deren Rückgrat – das sind heute die Immobilien der Firma („mehr als 450 Wohnungen, die meisten hier im Viertel„) – so gesehen bleibt Möbel Hübner eine erste Adresse im Lützow-Viertel.